Im Frühsommer gleichen Weiden oft nicht den idyllischen Bildern der Werbung oder denen der Lehrbücher. Die Weiden sind entweder leer gefressen, oder die Weidetiere stehen im hohen Gras. , Weil bei den einen die Fläche zu klein ist und bei den anderen Tierbesatz. Bei unserem Weidegespräch am 13. Juni 2023 auf dem Spittelhof in Oberkirnach ging es darum, wie man diese Über- oder Unternutzung vermeiden kann. Denn keines der Bilder nutzt die Potentiale der Weide aus. So werden Milchkühe nicht satt und müssen zugefüttert werden und Masttiere erreichen nicht die am Markt geforderten Schlachtqualitäten. Dabei wäre Weidegras das billigste Futter, das Weidetiere ohne Fremdenergie ernten und die Wurzeln des wachsenden Gras speichern CO2 im Humus. Mit dieser klimapositiven Rolle der Weide versuchen sich immer neue Kräfte zu profilieren, ohne die praktischen Herausforderungen der Weideführung zu sehen, die mit zunehmenden Trockenperioden noch schwieriger werden.
Weide ist keine Neuentdeckung. Schwarzwaldhöfe waren klassische Weidehöfe. Weidefelder waren in alten Dokumenten der größte Teil ihrer Flächen. Zur Ernährungssicherung machten viele Bauerngenerationen diese Weidefelder urbar und führten auch den Kleeanbau zur Sommerstallfütterung ein. Zeitgleich wurde Wald und Weide gesetzlich getrennt. So hat der Fortschritt das Weiden auf die nicht mechanisierbaren Flächen eingeschränkt. Die Debatte um Offenhaltung der Landschaft und Landschaftspflege in den letzten Jahrzehnten hat diese Sicht noch bestärkt. Mit dem Strukturwandel sind die Viehbestände vergrößert worden, aber nicht die vom Hof aus erreichbaren Weideflächen. In dieser Situation wird Weiden neuerdings zum Symbol für Tierwohl, wobei die Weide nur Auslauf mit Siestafunktion ist und ihre eigentlichen Potentiale nicht genutzt werden können. Die Kuh bleibt Klimakiller.
Die Theorien um Weideformen sind theoretisch und drehen sich gerade wieder mal im Kreis mit Mob Grazing zur Portionsweide. Als der Elektrozaun die Hütebuben ablöste, hat man sich mit dieser rationierten Zuteilung der Weide nach dem Vorbild der Stallfütterung die Lösung versprochen. Probleme mit Trittschäden auf der begrenzten Fläche, unruhige Tiere, Durchfall und Blähgefahren waren aber die Folgen. Andere theoretische Weideformen wie Koppel- oder Umtriebsweide, Mähweide oder intensive Standweide, auch Kurzrasenweide genannt, wurden nur bruchstückweise umgesetzt. Weshalb die Probleme mit einem gleichmäßigen Futterangebot über die ganze Weideperiode, mit Geilstellen und Weidepflege sowie mit Triebwegen und Wasser-versorgung blieben. Denn alle theoretischen Weideformen sind unter günstigen Standortbedingungen mit gleichmäßigem Graswuchs über Sommer entstanden. Mit zunehmender Höhenlage aber beginnt der Graswuchs nicht nur später, die Halm- und Blütenbildung folgt rascher, die Klimaerwärmung beschleunigt diese Entwicklung noch. Die Eingangs genannten Bilder zu vermeiden, ist weniger ein Frage der ideologischen Weideform, wie Stand-oder Umtriebsweide oder Kurzrasen oder Langgras- (mob grazing) weide, sondern wie Weide am Einzelbetrieb geschickt organisiert wird, um ihre Potentiale zu nutzen. Wie wir es bei unserer Infotour im letzten Jahr bei Hans Braun gesehen haben.
Holistisches Weidemanagement wird als Lösung propagiert. Was auf Deutsch ganzheitliche oder systemische Weideführung heißt und kein neue Weideform ist, sondern die Aufforderung am jeweiligen Standort Weidepflanzen und Weidetiere im Einklang zu halten. Nach vielen Experimenten mit Weideformen ist am Spittelhof eine ganzheitliches Weidesystem entstanden, das von drei Beobachtungen als Grundgedanken geprägt:
- Die Vorstellung von der sauberen Weide überwinden! Ebenso alle Thesen von der optimalen Weidehöhe oder Mindesthöhe in cm. Dann werden nicht nur Weidepflegemaßnahmen überflüssig, sondern auch die Zufütterung wegen Problemen mit Durchfall und Milchinhaltstoffen. Denn Weidetiere sind so klug und nutzen überständige Weidereste nach und nach als Strukturfutter, weil sie es als Wiederkäuer brauchen. In Trockenperioden sind Weidereste Futterreserven und schützen mit ihrem Bestandsklima den Boden. Nur auf mageren Weiden, auf denen Ginster, Farn oder Brom-beeren vorkommen, ist Nachmahd notwendig.
- Weidefläche und Weidetiere am Standort optimieren! Dafür gibt es kein Rezept. Es braucht den Willen und das Risiko zum Probieren, um die Graswüchsigkeit auf seinem Hof mit seine verschiedenen Lagen einzuschätzen. Nur ein Grundsatz gilt immer: Um das Futterangebot während der Weideperiode zu sichern, muss die Weidefläche im Sommer gegenüber dem Mai etwa verdoppelt werden und im September nochmals. Fachleute sprechen von Mähweide, Aber die Kunst liegt darin, die Mähtermine der nicht benötigten Weideflächen zu staffeln, um die Frühsommerweide flexibel ergänzen zu können. Flexibilität ist dazu erfordert, auch bei den Zäunen. Denn die Zuteilung frischer Weidefläche sollte mit Flächen mit Weideresten im Sinne eines gleichmäßigen Futterangebotes für die Weidetiere. Um mit dem Standort in Einklang zu kommen, sollte die Zuchtwahl nicht auf höchste Milch- und Fleischleistung orientiert sein, sondern auf vitale Fressertypen.
- Die Weiden in die Landschaft integrieren! Weidetiere wollen nicht nur selektieren können, sie wollen zum Wiederkauen auch ihre Ruheplätze wählen können. Dazu werden an Hitze- und Regentagen Waldränder oder Bäume bevorzugt. Weshalb die ersten Weideforscher im Norden die Anlage von Kniks (Heckenreihen als Zäune) angeregt haben. Aber dafür gibt es keine Patenrezepte, wie neuerdings Agroforst. Viwlmehr gilt es im Einzelfall Schattenmöglichkeiten mit Triebwegen und Wasserversorgung zusammen zu denken. Also Weiden zu Parklandschaft entwickeln, wie es uns Martin Ott in Schönthal bei der Infotour im letzten Jahr gezeigt hat. Weil sich Gras und Kühe nicht an Pläne halten, braucht es wieder Hirten, die beobachten. Auf lateinisch heißt Hirte Pastor, und Pastoren können gute Geschichten erzählen, wie es Dr. Florian Leiber beim letzten Int. Tag der Berge gefordert hat