Warum Wählen so schwer fällt

Gedanken aus dem Buch von Albena Azmanova: „Kapitalismus an der Kippe – radikaler Wandel ohne Krise“  und seine Auswirkungen auf die Rolle der Agrarpolitik

Mit den obigen Abbildungen erklärt die Politikwissenschaftlerin Albena Azmanova in ihrem o.g. Buch den Wandel der politisch-ideologischen Landschaft und warum Wählen heute so schwer fällt. Sie  beschreibt wie dynamisch der Kapitalismus als soziales System die klassischen Links-Rechts-Pole der Politik verschoben und das Verhältnis von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verändert hat. Die aus Bulgarien stammende Professorin fragt heute, warum sie als junge Demonstrierende an der Kippe des Kommunismus nicht gesehen hatten, dass sie dem Kapitalismus  zum globalen Durchbruch verhalfen. Dass beides Formen des profitorientierten Kapitalismus sind. Mit Blick auf China betont sie, dass nur die die Profiteure nicht dieselben  sind. Mit ihrem Buch schreibt Azmanova die vom Sozialhistoriker Karl Polany 1944 erschienene Great Transformation fort für unsere Zeit, die sei in 3 Phasen unterteilt:

  1. Wohlfahrtskapitalismus

Der Industrialisierung hatte das  liberale Unternehmertum  in England zum Durchbruch verholfen, indem es die Arbeit in den Wirtschaftskreislauf eingebunden hat. Die Arbeitsbedingungen führten zur Arbeiter-bewegung, zu Sozialgesetzen und zur politischen Auseinandersetzung zwischen liberaler oder traditioneller Kultur und geregeltem oder freiem Markt. Die soziale Marktwirtschaft war dasErgebnis nach dem zweiten Weltkrieg. Azmanova nennt sie Wohlfahrtskapitalismus. Seine politische Orientierung pendelte zwischen den  Links-Rechts-Polen, wie sie Abbildung 1 darstellt und mit denen Medien und Politik heute noch gern argumentieren.                                                             

Aufgabe der Agrarpolitik im Wohlfahrtskapitalismus war  die  Sicherung der Versorgung zu angemessenen Preisen durch geregelte Märkte. Da die Landwirtschaft mit dem Wohlstand der Industriegesellschaft nicht mithalten konnte, begann mit der Abwanderung der Strukturwandel. Um die Abwanderung aus den Berg- und anderen benachteiligten Gebieten zu verhindern und die Kulturlandschaft zu erhalten, führte die Agrarpolitik die Ausgleichszulage als erste Direktzahlung ein.   

  • Neoliberaliserung

Mit den ersten Krisen des Wohlfahrtskapitalismus kam wieder die Angst um Arbeitslosigkeit zurück. Weshalb in den 1980ern Tatcher und Reagan Privatisierung und Deregulierung von Wirtschaft und Markt als alternativlos erklärten. Damit haben sie nach dem Zerfall des Kommunismus dem freien Weltmarkt den Weg bereitet. Nun blickten fast alle politischen Parteien auf die Chancen am Weltmarkt und veränderten schweigend die politische Landschaft zwischen die Chancen und Risiko-Pole, wie sie Abbildung 2 zeigt:

So wurden Gewinne privatisiert und Risiken sozialisiert und damit die Marktmächte des Weltmarktes gestärkt. Obwohl schon in den 1970ern vor den Grenzen des Wachstums gewarnt worden war, blendete die Neoliberalisierung der Chancen wegen die Risiken für Ressourcen, Umwelt und Gesellschaft aus. Diese neue Situation bot populistischen und radikalen Kräften Freiraum.

Die Neoliberalisierung hat die Agrarpolitik umgestülpt von der  Absatz- und Preissicherung zu Flächen- und Investitionsprämien zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt. Denn dort sah man Absatzchancen für Mehrproduktion durch Fortschritt. Unser Ernährungssystem konzentrierte sich auf global bestückte Supermarktkonzerne und ihr Preisdruck förderte die regionale Spezialisierung der Landwirtschaft. Um die Risiken für Wasser und Kulturlandschaft zu minimieren, bot die Agrarpolitik  flankierende Maßnahmenprogramme (MEKA) auf.     

  • Prekäriatskapitalismus  

Mit der Neoliberalisierung nahm die Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer massiv zu. Denn profitier transnationale Unternehmen und Finanzmärkte sind die großen Profiteure. Azmanova nennt deshalb die jüngsten Jahrzehnte Prekaritätskapitalismus. Auf die Finanz-, Flüchtlings-, Klima- und Coronakrise war die Politik nicht vorbereitet und glitt in ein Krisenmanagement zwischen Freiheit und Sicherheit, das Unsicherheit erzeugt. Weshalb nationalistische Kräfte wie Trump oder und der Brexit bei Wahlen gewinnen, obwohl sie den Kapitalismus nur für ihre Interessen nutzen.Denn die Unsicherheit fördert trotz Wohlstand Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik. Die Folge sind Immer neue Demonstrationen. Azmanova sieht darin Parallelen zu ihrer Jugendzeit in Bulgarien, wo der Kommunismus an der Kippe war. Sie warnt aber Protest auf einfache Forderungen gegen Konzerne oder für Reichensteuer  zu reduzieren, denn damit würde die Anpassungsfähigkeit des bestehenden Kapitalismus nur gestärkt, ohne die Ursachen zu verändern. Dennoch macht Azmanova Hoffnung, dass Unzufriedenheit ein gutes Leben fördert, was das gegenwärtige System nicht bieten kann. Die Herausforderung sei, die kapitalistische Marktorientierung zu überwinden ohne in eine sozialistisch Diktatur zu verfallen.   

Der Agrarpolitik der Wettbewerbsfähigkeit folgten wuchernde Auflagen zur Begründung gegenüber der Gesellschaft, die Klima-, Tier- und Umweltschutz verlangt. Unter der Vorgabe die bäuerliche Landwirtschaft erhalten zu wollen, brachte diese Agrarpolitik Bauern und Bäuerinnen in eine prekäre Situation. Weshalb es zuerst zu Milchstreiks wegen nicht kostendeckende Preise gekommen war und in jüngster Zeit zu Demonstrationen gegen Auflagen wie Düngeverordnung oder Tierwohl. Dabei wird übersehen, das Bauern das eine Ende unserer Ernährungsketten sind und die Verbraucher das andere. Und dass die Konzerne zur Gruppe der Reichsten unser Zeit gehören und diese Marktmächte seit der Neoliberalisierung die Agrarpolitik mitbestimmen.

Die Herausforderung an eine zukunftsfähige Agrarpolitik ist es, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen zu denken um die Rahmenbedingungen an den Wünschen der Gesellschaft und an den Strukturen der klassischen Kulturlandschaften zu orientieren statt am Weltmarkt. Denn der bisherige agrarpolitische Spagat von Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt und Reglementierungen zum Natur-, Klima- und Tierschutz verstärkt den Strukturwandel ohne dessen Folgen zu lösen. Die Weltmarktideologie sollte deshalb durch Denken in fairen regionalen Kreisläufen ersetzt werden.

Unsere Gesprächspartner bei unseren Infotouren und beim Int. Tag der Berge gaben uns Impulse und Hoffnung. Um den Strukturwandel zu überwinden zu einem Kulturwandel zur Zufriedenheit.

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