Von der Talökonomie zum Pendlerdorf

Mit regional werben inzwischen fast alle. Steht regional doch für überschaubar gegenüber dem anonymen Supermarkt. Immer mehr Initiativen fordern regionale Versorgung, Doch die Konzentration der Marktmächte nimmt zu. Wie die Fremdversorgung die lokale Versorgungsstrukturen abgelöst und die Dörfer verändert hat, darüber wollte sich Peter Volz mit einer Gruppe der Agronauten aus Freiburg am 26. März bei uns informieren. Wir trafen uns dazu in Rohrbach als typischem Schwarzwaldtal.

Die Globalisierung nähert sich immer mehr der Strategie der Römer vor 2000 Jahren. Die sind den schwarzen Wald, den sie Silva Nigra nannten, umgangen, im Westen durchs Rheintal und im Osten über die Gaue. Der erste EWG-Agrarkommissar Sicco Mansholt hat 1968 bei seinem Besuch im Schwarzwald ein ähnliches Szenario genannt, dass es hier 2000 keine Landwirtschaft mehr geben wird, weil sie im gemeinsamen Markt nicht wettbewerbsfähig ist. Zwar ist das Szenario terminlich nicht eingetreten, der Blick in die Landschaft und auf den Wandel ihrer Struktur bestätigt aber den Trend. Weil der sogenannte Fortschritt die Entwicklung verklärt, muss man die Geschichte der Landschaft mit ihren Epochen verstehen. Für die Schwarzwaldtäler sind das die Rodungsepoche, die Epoche des Handwerks und das Wirtschaftswunder.

Die Rodungsepoche begann im 8. bis 11. Jahrhundert mit den Siedlungsklöstern. Warum die Landesvögte die Klöster damit beauftragten und warum die im Schwarzwald keine alemannischen Dorfsiedlungen (…ingen) angelegt haben, ist unklar. Für die Rodung gibt es zwei Gründe. Einmal war es im aufstrebenden Mittelalter die Suche nach Ressourcen (Erze und Holz) und zum anderen die Versorgung der mit der Rodung Betrauten. Dazu haben wohl die Benediktiner ihr klösterliches Selbstversorgungsmodell auf die Waldhufen in den Tälern für die Lehensnehmer übertragen. Die Rodung diente neben der Beschaffung von Bau- und Brennholz der Urbarmachung von Feld zum Anbau des eigenen Korns fürs Brot. Die Anlage der Urhöfe erfolgte an den Quellhorizonten. Speicher, Mühle und Backküchen sind die Zeugen der einzelbetrieblichen Versorgungswirtschaft. Dazu war die Größe der Lehenshöfe an die Ertragsfähigkeit der Täler angepasst, ein weiteres Zeichen des Weitblicks der Klöster. Das älteste Zeugnis für die in dieser Epoche entstandene Landwirtschaft findet sich 1618 in der Cosmographica Universalis von Sebastian Munster (nach Sambraus):

    „Der Schwarzwald ist ein rauch, birgig und winterig Land, hat viel Thannwäld, doch wächst da ziemlich Korn. Es hat reiche Bawren, dass einer wol zwölff Küh auswintern mag. Darumb so zeucht es viel Vieh, und besonders gut Ochsen, die am Fleisch besser sind, wie alle Metzger das bekennen, als die Ungarischen, Böhmischen, Polnischen oder auch die Schweitzer Ochsen“

    Dieses Zeugnis zeigt das auch in ungünstigen Lagen Korn angebaut worden ist. Dass der Besitz der Bauern am Vieh gemessen wurde, das er überwintern konnte, weil Winterfutter wohl das knappste Gut war. Und dass Ochsen Überschuss- und Handelsware in die Städte des Altsiedelgebietes waren, weil die mit ihren Füssen ja mobil waren. Dabei war der Konkurrenzvorteil der Schwarzwälder Ochsen die kürzeren Wege, wo sie weniger Gewicht verloren.

    Die Handwerksepoche begann im 17. Jahrhundert, wo der Wald weitgehend abholzt war und Holz später durch Kohle abgelöst wurde. Andere Tätigkeiten mussten gefunden werden. Drei Urhöfe sind in dieser Zeit in Rohrbach eingegangen. Von andern Urhöfen wurde häufig für Nachkommen Land für ein eignes Haus mit Feld zur Versorgung abgetrennt. Die Namen dieser Häusle sind oft Zeugen von Handwerken (Wagner, Küfer etc.). Aus der Rohrbacher Chronik ist zu entnehmen, dass aus den 18 Urhöfen 1871 63 Halter von Rindvieh, Schweinen und Hühnern geworden waren. Die Einführung der Kartoffel verbesserte die Versorgung und als Hackfrucht die Felder. Obwohl die Haushalte und die Arbeitsteilung zugenommen haben, blieb die eigene Versorgung ihre Lebensgrundlage. Zu der Zeit hatte Rohrbach nicht nur die meisten Einwohner, sondern auch die höchste Biodiversität infolge der kleinräumigen Landbewirtschaftung. Was die Romantisierung der Industriegesellschaft vor über 100 Jahren schon erkannte und wovon der Naturschutz heute träumt. Mit Eisenbahn und später Autos begann der überregionale Handel, was sich am Entstehen der Molkereistrukturen in den 1920 Jahren manifestierte. In den Dörfern wurden aus Handwerkern zunehmend Pendler. Nur die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise ließen die Handwerkepoche bis Anfang der 1950er Jahre ausdauern.

    Mit dem Wirtschaftswunder änderte sich die Versorgungstruktur rasant. So waren Mehl und Kartoffeln bald billiger zu kaufen, als die Maschinenkosten verursachten. Die klassische Feldgraswirtschaft vergrünlandete, obwohl die leichten Böden keine günstigen Grünlandstandorte sind. Die Zahl der Landbewirtschafter schrumpfte. Aktuell sind es im Rohrbachtal noch etwa ein Dutzend Landwirte, also weniger als bei der klösterlichen Besiedlung. Nur noch drei sind Milchlieferanten. Einige Höfe sind nach außerhalb verpachtet, verbunden mit Futter- und Gülletourismus. Nur die Halter von Pferden haben zugenommen, sowie von Lamas. Gewachsen ist das Dorf durch eine Neubausiedlung (siehe Titelbild) und zwei größere Gewerbebetriebe. Noch gibt es einen Bäcker und eine Gaststätte, früher waren es drei. Doch die Versorgung erfolgt von außerhalb. Nur die ursprünglichen Hofgrenzen sind in der Landschaft noch zu erkennen. In dieser Situation von Regionalisierung zu reden ist Marketing für andere. Erst wenn man die Geschichte verstanden hat, entstehen Vorstellungen. Nicht um die Geschichte zu wiederholen, sondern die regionalen Zusammenhänge von Erzeugung und Versorgung und was dazu gehört zu erkennen.

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