Offener Brief – Das Spiel mit den Bauern beenden

Offener Brief an dei polisch verantwortlicehn am 19.02.2024
Sehr geehrte Damen und Herren,
eigentlich waren die Proteste der Landwirte mit großen Traktoren ein Weckruf, dass die Agrarpolitik auch diejenigen nicht zufrieden macht, die ihren Regeln folgen. Betrachtet man die Plakate an den Traktoren, klagen sie überwiegend, dass Ernährung und bäuerliche Arbeit keinen Wert mehr haben. Allerdings täuschen die Traktorenparaden, dass Landwirte im herrschenden Wirtschaftssystem nur noch eine Minderheit sind, die untereinander Konkurrenten sind. Auf die Reaktion der Politik mit Wettbewerbsfähigkeit durch Tierwohlprämie für Stallumbau fällt uns nur das Zitat von Einstein ein: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
Die Pläne der Bundesregierung, die Steuererstattung für Agrardiesel abzuschaffen, haben das Fass der Unzufriedenheit der Landwirte zum Überlaufen gebracht. Wir halten es deshalb jetzt an der Zeit, den Ursachen dieser Unzufriedenheit auf den Grund zu gehen. Die findet man am Boden des Fasses in den römischen Verträgen zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EWG von 1957. Nach denen soll die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts gesteigert werden um die Versorgung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen sicherzustellen. Damit mit diesem wider-sprüchlichen Ziel auch Landwirte eine angemessene Lebenshaltung erlangen, bleibt ihnen nur das Wachsen oder Weichen. Damit wurde der Strukturwandel programmiert. Mit der Globalisierung nach der Wiedervereinigung wurde 1992 auch die Stabilisierung des europäischen Agrarmarktes für den globalen Freihandel aufgegeben und durch Direktzahlungen ersetzt. Keine der folgenden Agrarreformen hat diese Zielsetzung in Frage gestellt, sondern mit immer neuen Regelungen für Düngung, Tierwohl etc. überwuchert. Deren Triebkraft hat den Strukturwandel zur strukturellen Gewalt werden lassen.
Dabei waren diese Folgen der Gemeinsamen Agrarpolitik früh erkannt worden. 1968 erklärte der erste EWG-Agrarkommissar Sicco Mansholt bei seinem Besuch im Schwarzwald unverblümt, dass es hier 2000 keine Landwirtschaft mehr geben werde, weil sie in einem gemeinsamen Markt nicht wettbewerbsfähig sei. Darauf setzte die Politik einen agrarpolitischen Spagat in Gang, der dieses Szenario durch Ausgleichs- und Pflegemaßnahmen zur Offenhaltung der Landschaft abwenden sollte, aber Produktivität und Rationalisierung wurden weiter gefördert. So wurde aus der Agrarpolitik immer mehr ein Schachspiel, bei dem die Bauern als schwächste Figuren ja zuerst geopfert werden. Die Königsfiguren sind die Mächte des Marktes. Als Spieler wechseln sich die EU-Kommission mit den Agrar-ministern der EU-Länder und der Bundesländer ab. > 2
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Wir fragen, nachdem durch Pandemie und Kriege die globalen Lieferketten unsicher geworden sind, warum die Politik sich um die nationale Produktion von Chips und Solarzellen kümmert, aber weiter ebenes Land dafür verbaut, Äcker stilllegen und Grünland extensivieren will? Hat die Supermarkt-kultur Gesellschaft und Politik so von der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen entfremdet, dass sie glaubt, weniger Landwirtschaft und Nutztiere und mehr Wildnis mit Raubtieren würden Klima und Umwelt schützen?
Diese Widersprüche sind es, die Landwirte in immer mehr Ländern auf die Straße treiben. Sie lassen sich nicht mit Kommissionen, Plänen oder Strategien beruhigen. Es geht um den Sinn der Landwirt-schaft. Um einen Kulturwandel aus dem Zwang zum endlosen Wachsen oder Weichen. Dazu unsere grundsätzlichen Gedanken:
1. Landwirtschaft und Ernährung als System denken.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Landwirtschaft an der regionalen Versorgung orientiert. Erst die Mobilität durch billige fossile Energie hat die regionale Lebensmittelversorgung durch den globalen Markt abgelöst. Diese Supermarktkultur lockt ihre Kunden mit idyllischen Bildern von Bauernhöfen, die sie mit ihren Standards für billige Massenproduktion zerstört. Dieser Zweispalt zwischen Marketing und Ansprüchen an die Erzeuger schürt das Misstrauen der Verbraucher gegen die Landwirtschaft und nagt am bäuerlichen Selbstverständnis.
Besonders betroffen von der pauschalen Debatte um Tierhaltung und weniger Fleisch zum Klima-schutz fühlt sich die Landwirtschaft in nicht mehr ackerwürdigen Gebieten wie im Schwarzwald. Ignoriert diese Debatte doch, dass Gras fressende Kühe weder Nahrungskonkurrenten sind noch Klimakiller, sondern als Wiederkäuer Grasland für unsere Ernährung nutzbar machen, dass in seinem Humus CO2 speichert. Auch lenken diese Debatten davon ab, dass unser Supermarkt-system mehr Fremdenergie verbraucht als Energie in der Nahrung enthalten ist, also nicht nachhaltig ist. Ein wirklich nachhaltiges Ernährungssystem sollte nicht nur von der Landwirtschaft fordern, sondern muss vom Boden bis um Teller gedacht werden.
2. Die Agrarpolitik auf Maßnahmen mit Sinn bereinigen.
Die Unzufriedenheit in der Landwirtschaft ist so groß, weil sie in agrarpolitischen Maßnahmen immer weniger Sinn erkennen kann, da sie voller Widersprüche sind. So enthalten die Anträge für die Direktzahlungen inzwischen Dutzende Detailmaßnahmen, die fast alle mit theoretischen Regelungen für den landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand verbunden sind. Damit ist die Antragstellung ein Geschäftszweig für Beratungsbüros geworden und die Dokumentationen bleiben Papiertiger ohne Sinn. Dazu zwei einfache Beispiele aus der Praxis: So muss für die Weideprämie für Milchkühe ein Weidetagebuch geführt werden, damit die Administration Weidetage und -stunden nachzählen kann. So verkümmert die Weide als naturgemäße Haltung- und Fütterungsform mit dem Schutz des Wolfes zum Auslauf. Zu einem bürokratischen Monster ist die Düngung aufgebläht aus Stoffstrombilanzen, Dünge-bedarfsberechnungen und Ausbringungsterminen- und techniken. Dadurch wird wegen der Stoffüberschüsse in Problemgebieten die ganze Landwirtschaft in Sippenhaft genommen, nicht aber der Rationalisierungsdruck aufgehoben, der dazu führt. Besonders überzogen ist diese Bürokratie für das Grünland, dessen Wurzelwerk die Stoffe > 3
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festhält, den die Tiere von diesem Futter liefern. Mit einem einfachen Hoftorvergleich auf einem Blatt ist das zu belegen. Zudem wird die geforderte Hypertechnik zur Gülleausbringung wird vielen Grünlandhöfen im Bergland den Todesstoß geben, obwohl die überwiegend ökologisch wirtschaften. Wir fragen, wo der praktische Sinn solcher Reglementierungen bleibt?
Wie der administrative Digitalisierungsglaube sinnvolle Maßnahmen vergällt, erleben wir bei der Förderung von blütenreichem Grünland. Diese von Landwirtschafts- und Biologieexperten vor über 20 Jahren entwickelte Maßnahme honoriert die Bewirtschaftung, die diese Arten erhält. Nun will die Administration anstatt einer Liste der Arten, digitale Bilder. Die Bewirtschafter dieses blütenreichen Grünlandes sind in der Regel aber nicht digitalaffin und fühlen sich von dieser sinnvollen Förderung ausgeschlossen. Auch die Ausgleichzulage für Berg- und naturbenachteiligte Gebiete, als erste und logische Direktzahlung, verängstigt die Landwirte im Bergland jetzt mit laufenden Satellitenkontrollen. Es ist es dieses administrative Misstrauen hinter immer perfekteren Kontrollen, das dem Vertrauen der Landwirte den Sinn raubt.
3. Die Resilienz der bäuerlichen Lebensform erkennen.
In den Medien wie bei den Protesten werden die Begriffe Bauer und Landwirt, Familienbetrieb und Unternehmen synonym verwendet. Das ist Zeichen der Entfremdung von der bäuerlichen Landwirtschaft durch die industrielle Denkweise unserer Zeit. Doch die Industrie verarbeitet in geschlossenen Räumen Rohstoffe zu Waren, während Landwirtschaft im periodischen und natürlichen Wachstumsverlauf von Pflanzen und Tieren stattfindet und eine Multifunktion in der Landschaft ausübt. Diese Unterschiede zu beachten, würde viele Missverständnisse vermeiden.
Die Lösung der Probleme der Landwirtschaft sollte am bäuerlichen Selbstverständnis ansetzen. Denn das gründet in der Versorgung, mit der viele Krisen überwunden wurden und sie war eine unabhängige Kreislaufwirtschaft, von der Transformationsforscher wieder träumen. Damit vertreten wir nicht ein Zurück in die Vergangenheit, aber dass Landwirtschaft ein ökosoziales Wirtschaften war, von dem wir lernen könnten. Zumal aus diesem bäuerlichen Kulturerbe auch viele industrielle Innovationen hervorgegangen sind, was heutige Vordenker Reallabore für zukunftsfähige Entwicklungen nennen.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Unzufriedenheit der Landwirte ist eine Sinnkrise. Die Ursache liegt in der Übernahme industrieller Denkweisen, die das multifunktionale System Landwirtschaft nicht erfassen können. Systemdenker lehren, dass der wirksamste Hebel für Veränderungen der Wechsel der Paradigmen ist. Zum Wechsel der Paradigmen könnte die Nutzung der Reste des bäuer-lichen Erfahrungswissens und die Impulse kritischer wissenschaftlicher Denker*innen helfen, einen agrarökologischen Weg zu weisen, wie ihn der Weltagrarbericht vor 15 Jahren vorgeschlagen hat.

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