Die Diskussion um die Zukunft des Schwarzwalds ist aktuell auf Wolf und Digitalisierung konzentriert. Symbole einer modernen Gesellschaft, deren Wohlstand auf Naturzerstörung gebaut ist und die mit Wildnis dafür Ausgleich schaffen will. Die Berge sind dabei ins Spannungsfeld zwischen Wildnis und Freizeitpark geraten, wie es der Alpenforscher Prof. Werner Bätzing in einer Streitschrift dokumentiert hat. Am Internationalen Tag der Berge hat er uns seine Erkenntnisse und Perspektiven im Form von Szenarien vorgestellt (siehe übernächsten Beitrag). Was wir von diesen Erkennt-nissen lernen können, wollten wir beim Schwarzwaldbauerntreff am 11. Januar 2019 diskutieren. Dabei offenbarte sich wie Schwarzwaldbauern unter den gesellschaftlichen Träumen zwischen Wildnis und Freizeitpark leiden. Aber auch im Zeitgeist des Wettbewerbs erstarrt sind, die wirklichen Ursachen verdrängen und Alternativen für die Berglandwirtschaft (noch) nicht sehen.
Kulturelle Verwilderung
nennt Alpenprofessor Bätzing diese Entwicklung. Obwohl die Menschen mit der Besiedelung die Wildnis der Berge zur Kulturlandschaften kultiviert haben, verführt die Moderne wieder zur Entsiedelung und Träumen von Wildnis. Nicht einheitlich, sondern wie bei der Besiedelung kleinräumig verschieden, je nach den Möglichkeiten des Um-feldes. Die Ursache, erklärt Bätzing deutlich, liege nicht in den Gebirgen selbst, son-dern in den Grundsatzproblemen unserer modernen Welt, die auf unendliches Wachs-tum gebaut ist und dazu Mensch, Kultur und Natur zur Ware macht. Die Kultur der Berge verwildere, weil sich Alles dort konzentriert, wo am billigsten produziert und am meisten verkauft werden kann. Mit der Folge, dass in den Gebirgen immer weniger Menschen leben. Die Berge mit ihren Kulturlandschaften werden Kulisse. Nach Bätzings Untersuchungen hat sich in den Alpen seit 140 Jahren die Hälfte der Bevöl-kerung in tausend von fast 6000 Gemeinden konzentriert. Die Hälfte der Fremden-betten in nur 5% der Alpengemeinden. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche hat sich halbiert und Wald und Wildnis haben sich verdoppelt. Der damit verbundene Verlust der biologischen Vielfalt der kleinräumigen Kulturlandschaften lässt sich nach Bätzings Erfahrungen mit Schutzgebieten nicht zu stoppen. Weil die dezentrale und umweltange-passte Bergkultur ist dem urbanen Lebensstil gewichen. Ein Prozess der im Schwarz-wald, wenn auch im kleineren Maßstab, auch nicht mehr zu übersehen ist.
Erstarrung im Strukturwandel
Der vor Jahrzehnten als Wachsen und Weichen noch heftig bekämpfte Strukturwandel ist zum alternativlosen „Weiter so“ erstarrt. Denn die Werbemacht der kapitalistischen Wachstumslogik hat das Größere als das Bessere zum Maßstab allen Fortschritts gemacht. Der sich um Metropolen und Autobahnen konzentriert und die Infrastruktur am Land vernachlässigt. Und in seinen Supermärkten die standardisierten Nahrungs-mittel mit idyllischen Bildern von Bauernhöfen und Bergen verschleiert. Weil die Berg-landwirtschaft dabei nicht mithalten kann, schrumpft sie. Zwar will die Agrarpolitik mit Ausgleichzahlungen diesen Prozess abfedern, in Wirklichkeit aber verstärkt sie ihn mit den daran gebundenen Auflagen, die die industriellen Standards verlangen. Zwar waren Schwarzwaldbauern über Generationen mit ihren Einzelhöfen starr verbunden, doch diese Bindung ist von noch starreren Verpflichtungen von Markt und Politik weit-gehend verdrängt. Mit der Folge, dass Ihre Erzeugnisse von Massenprodukten aus günstigeren Lagen verdrängt werden.
Verdrängung der Herausforderungen
In diesem ökonomisch erstarrten Umfeld wird die Auseinandersetzung mit den wirklichen Herausforderungen von Klima und Mitwelt verdrängt. Vor allem ist das Erfahrungswissen der traditionell umweltangepassten Landbewirtschaftung verdrängt worden. Und damit die Kultur im Einklang mit Landschaft und Mitwelt zu wirtschaften. Um im Strukturwandel mitzuhalten werden, werden seine Folgen für bäuerliche Familien und ländliche Strukturen verdrängt. Die politischen Regionalentwicklungsprogramme können diese Entwicklung nicht aufhalten, weil sie zu abgegrenzt und bürokratisch hierarchisch organisiert sind. Am Schlimmsten ist, dass durch die Verwilderung der Kultur der Blick auf die Werte der Bergkultur verdrängt wird.
Kulturwandel statt Strukturwandel
Dieses unser Motto bestätigt der Alpenprofessor Bätzing. In seinem Buch „Orte Guten Lebens – Die Alpen zwischen Übernutzung und Idyll“ komt er zu zu folgendem bemerkenswerten Schluss: Es gibt keine Zukunft für die Alpen ohne einen Bruch mit den negativen Werten sowohl der Tradition wie der Moderne. Eine lebens-werte kulturelle Identität kann nur aufgebaut werden mit einer neuen Verbindung mit den positiven Werten von Tradition und Moderne.
Als negative Werte der Tradition nennt die patriarchalisch geprägte Gesellschaft und in der Moderne der aus der Individualisierung entstandene Egoismus. Positiv den aus-geprägten Umweltbezug in der Tradition und die persönlichen Entwicklungs-möglichkeiten der Moderne.
Kulturelle Identität als Erfolgsfaktor haben wir bei unseren Infotouren ins Elsass, zur bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall oder zu Alpinavera in Graubünden (siehe Archiv > Infotouren) erlebt. Weil für diese kulturelle Identität im direkten Umfeld aber die Kaufkraft fehlt, schlägt Bätzing dezentrale Aufwertung vor. Dezentrale Aufwertung heißt Regionen nicht abgrenzen, sondern Berg und Tal bzw. Land und Stadt integrieren.
Dazu muss de Erstarrung und Verdrängung überwunden werden. Um die Identität mit den Schwarzwälder Werten wieder herzustellen. Zu diesem Kulturwandel können die Schwarzwaldbauern folgende Schritte beitragen:
- Genügsamkeit statt Wettbewerb im Strukturwandel
- Multifunktion statt spezialisierte Monofunktion
- Agrarökologie (standortangepasst wirtschaften) statt Öko- u.a. Standards
- Regionale Identität statt Teilung in Nutz-, Schutz- und Pflegezonen
- Regionale Spezialtäten entwickeln anstelle austauschbarer Weltmarktprodukte
- = Frei und Selbstwirksam statt fremdbestimmt
- = Mehr statt weniger Bauern
Diese Schritte bestimmen unser Arbeitsprogramm.