Auf der Suche nach Orientierung

Unser Aschermittwochsgespräche drehen sich immer wieder um das Verhältnis von Landwirtschaft – Volkswirtschaft und Natur. Weil die herrschende Denkweise nur sieht, was sich in Geld messen lässt, aber nicht nach dem Sinn fragt. Der Sinn steht für  Zufriedenheit und Glück, die das bäuerliche  Leben bestimmt hatte. Orientierung in diesem Sinne bot dieses Jahr Kaspanaze Simma. Er erklärte, warum die herrschende Denkweise die Landwirtschaft entwertet hat. Die Antwort hat der Bauer aus dem Bregenzerwald Im Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty gefunden. Weil die bodengebundene  Landwirtschaft nicht wie Industrie, Wohnstätten und Dienstleistungen wachsen kann, ist der Wert der Landwirtschaft am gesamten Kapital geschrumpft (siehe Titelbild aus dem genannten Buch). Was Strukturwandel genannt wird, heißt aber immer weniger Bauern, die eigentlich keine Bauern mehr sind. Denn im urbanen System der reinen Geldwirtschaft geht es nur ums Geld verdienen. Was Bauern und Bäuerinnen ohne Geld leisten, sowie das kulturelle Erbe werden in der Geldrechnung nicht erfasst. Hierin sieht Kaspanaze Simma das Kernproblem der falschen Orientierung.

Denn der Mainstream des endlosen Wirtschaftswachstums steht im Widerspruch zum bäuerlichen Leben. Wie kein anderer hat Kaspanaze ergründet, warum Geld allein nicht reicht zum Glück oder Leben in Fülle. Denn dazu gehören auch Nichtgeldtätigkeiten, wie Sorge und Pflege in Haushalt und Nachbarschaft, sowie das Erbe der Natur- und Schöpfungsgüter. Als Politiker hat Kaspanaze schon vor Jahrzehnten gegen die einseitige Sicht engagiert und eine ökosoziale Reform unseres Wirtschaftssystems angestrebt. Die Sicht der urbanen Politiker verstand die umfassende Sicht des Bauern auf das Leben jedoch nicht. Zwei staatspolitische Begegnungen in den Wochen nach unserem Aschermittwochsgespräch folgenden Wochen zeigen aber wie Politiker Orientierung suchen und  glauben Glück bestimmen zu können. Weil darüber nur am Rand berichtet wird, unsere Gedanken dazu:

Bruttonationalglück statt Bruttosozialprodukt

Kürzlich hatte Deutschland Staatsbesuch vom Premierminister Lotay Tschering von Bhutan. Dabei äußerte sich Bundeskanzler Scholz elektrisiert: „Bhutans Idee, das Glücksgefühl seiner Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, ist faszinierend.“ Das Land im Himalaya zwischen China und Indien mit 800 000 Einwohnern ist so groß wie Baden-Württemberg. Es hat in den 1970er Jahren sich nicht dem Bruttosozialprodukt als Maßstab für die Entwicklung angeschlossen, sondern das Bruttonationalglück eingeführt.  Auf die Frage, ob das Bruttonationalglück auch für Deutschland ein Maßstab sein könnte, lies sich der Premierminister allerdings  nicht ein, „Ich bin nicht als Prediger in Sachen Glückseligkeit unterwegs“. Das Streben nach Glück sei einfach eine Philosophie, der seine Regierung in ihrem alltäglichen Handeln folge.

Bhutan ist zugleich das einzige klimaneutrale Land der Welt. Was heißt: Es werden mindestens so viele klimaschädliche Gase abgebaut wie ausgestoßen. Bhutan erreicht das durch riesige Wälder, die mehr als zwei Drittel der Landesfläche bedecken und Kohlendioxid binden. Deshalb sind mindestens 60 Prozent Wald in der Verfassung festgeschrieben. Seine Energieversorgung ist auf Wasserkraft aufgebaut. Doch diese Stromproduktion nimmt wegen des Klimawandels mittlerweile um bis zu 65 Prozent ab.  Deshalb besuchte Tschering Deutschland um sich über Alternativen zu informieren.

Die Häuptlinge im Regenwald

Zur gleichen Zeit reisten unser Wirtschaftsminister Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nach Brasilen. Während die Ziele dieser Reise unklar geblieben sind, machte der Besuch bei Indigenen im Regenwald Schlagzeilen. Denn Habeck stellte sich ihnen als Chief vor, denn Minister seien sowas wie Häuptlinge. Und er erklärte, unser Wald sei mehr oder weniger weg und Landwirtschaftsminister Özdemir äußerte sich nicht dazu. Zu Recht kritisierte die Opposition diese Arroganz von oben herab und die Geschichtsvergessenheit um den deutschen Wald.

Orientierung – an was?

Diese Frage stellt sich, wenn man über diese politischen Diskussionen nachdenkt. Dabei stößt man auf die paradoxen Widersprüche unserer Zeit. Unser Bundeskanzler findet das Glücksgefühl zu messen faszinierend und redet weiter vom neuen Wirtschaftswunder. Seine Minister besuchen Indigene im Regenwald und suchen aber neue Handelspartner. Kanzler und Minister denken hierarchisch – von oben – und wundern sich, dass die unten nicht glücklich sind. Sie orientieren sich am Bruttosozialprodukt der Geldwirtschaft und meinen auch die Nichtgeldtätigkeiten und die Natur in die Geldwirtschaft integrieren zu müssen.

Der Postwachstumsprofessor Niko Paech hat diese doppelgesichtige Orientierung Ablasshandel genannt. Die Agrarpolitik ist ein Beispiel, wenn man Kaspanaze‘s Erklärungen verstanden hat. Nicht der Kapitalismus oder die Ökonomie ist das Problem, sondern die vereinfachte Sicht auf das Geld. Eigentlich hat die Menschheit mit der nachhaltigen Entwicklung sich eine neue Orientierung vorgenommen. Aber noch ist Geld der Maßstab. Weil man weder die Natur noch das Glück der Menschen in Geld messen kann, suchen alle noch Orientierung. Die urbäuerliche Lebensform hatte diese Orientierung. Kaspanazes Wunsch ist eine Bewegung für das bäuerliche Leben in Fülle.

 

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