Dass auch der Minister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir am zweiten Weihnachtstag seine Botschaft verkündet, ist neu. Danach will er ändern, dass Ramschpreise Bauernhöfe in den Ruin treiben, mehr Tierwohl verhindern, das Artensterben befördern und das Klima belasten. Doch die rhetorische geschickte Verbindung von Symptomen trat eine Debatte los, die die ungelösten Widersprüche in unserem Ernährungssystem offenbaren. Denn die einen können sich teurere Lebensmittel nicht leisten und die Marktmächte nehmen in Anspruch, dass sie längst Umwelt- und Tierwohlstandards bieten. Bemerkenswert war ein Nebensatz des paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dass diese Debatte nicht zu Ende gedacht sei, weil höhere Auflagen eine Spirale lostrete, bei der die kleinen Bauern hinten runterfallen. Die wollen aber doch alle erhalten und Schwarzwaldbauern gehören heute zu den Kleinen. Die Debatte also eine Täuschung?
Deshalb haben wir in unseren Weihnachtsgedanken an die 6 landwirtschaftlichen Irrtümer erinnert, die der amerikanischen Farmer und Schriftsteller Wendell Berry schon vor 35 Jahren beschrieben hat. Weil keine der wechselnden Regierungen den statistisch Strukturwandel genannten Ruin der Bauernhöfe gebremst hat, spricht Wendell Barry von Unkultur. Unsere Kultur hat jedoch mit Agrikultur begonnen, weshalb wir Kulturwandel statt Strukturwandel zu unserem Motto gemacht haben. Wendell Berry beschreibt in einem Bergtal in Kentucky (siehe Titelbild) in seinen Geschichten den Wandel zur Unkultur und was zu einer neuen Kultur der Bodenhaftung führt. Die von ihm beschriebenen 6 landwirtschaftlichen Irrtümer, die zur Unkultur geführt haben, sind für uns Anlass, sie in unsere Situation weiter zu denken, um daraus Erkenntnisse für den Kulturwandel zu ziehen:
1. Die Landwirtschaft lässt sich als Industrie begreifen und betreiben. Darin sieht Wendell Berry den unversöhnlichen Gegensatz, weil Landwirtschaft nicht wie die Industrie Rohstoffe zu Produkten verarbeitet, sondern ihre Erzeugung in zyklischen Prozessen der Natur entsteht. Auch deshalb sei eine Farm (ein Hof) nicht mit einer Fabrik vergleichbar, weil der Mutterboden im Gegensatz zu Fabriken eine unbegrenzte Lebensdauer habe, wenn er pfleglich bewahrt wird im Einklang mit dem Leben der Farm. Unserer Erkenntnis daraus ist, dass dem politisch geforderten Umbau der Landwirtschaft ein Umbau des Denkens vorausgehen muss. Denn das Denken ist vom industriellen rationalisieren, spezialisieren und standardisieren (mit Öko- und Tierwohllabeln, Düngeverordnung etc.) beherrscht. Dabei hat der Weltagrarbericht schon vor 14 Jahren die Multifunktion ins Zentrum einer zukunftsfähigen Landwirtschaft gestellt.
2. Eine solide Landwirtschaft lässt sich auf einen Exportmarkt stützen. Dieser politischen These der amerikanischen wie auch der EU Agrarpolitik widerspricht Wendell Berry. Denn eine solide Landwirtschaft könne sich auf keinen Markt stützen, den sie nicht kontrolliert. Und er fragt, ob man hungrige Menschen als Markt betrachten dürfe? Er fordert, in der Landwirtschaft soll nicht das Geschäftsdenken dominieren, sondern die Versorgung. Der Hof sei Quelle von Nahrung, Wohnung, Energie usw. und dessen Überschüsse stünden zum lokalen Verkauf und in Notzeiten darüber hinaus. Dieses Versorgungsdenken würde das Anbauspektrum erweitern, Kosten für Transporte sparen, frischere Lebensmittel auf den Tisch bringen und die lokale Beschäftigung verbessern. Unsere Erkenntnis daraus ist, dass in allen auf Agrarexporte orientierten Ländern der Strukturwandel am weitesten fortgeschritten ist und die Landwirtschaft von der regionalen Versorgung entfremdet. Regional als Marketingmaßnahme ist nur ein Instrument im globalen Wettbewerb. Ein Gegenbeispiel für regionales Versorgungsdenken ist die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall oder die Bioalpingenossenschaft des Tiroler Heinz Gstir.
3. Der freie Markt kann die Landwirtschaft schützen. Wendell Barry hält das ungezügelte Spiel ökonomischer Kräfte am freien Markt als schlecht für die Landwirtschaft, weil der Markt Dingen, die für die Landwirtschaft wichtig sind, (Mutterboden, Ökosystem, Gemeinschaft) keinen Wert beizumessen vermag. Dagegen fördere der freie Markt die Überproduktion, sowohl über hohe wie niedrige Preise, und die Billigpolitik wird zur Waffe gegen die Landwirtschaft. Wenn die Landwirte zu gedrückten Preisen verkaufen und zu überteuerten Preisen kaufen müssen, dann bedeute das den Tod des Landbaus, der ländlichen Gemeinschaften, der Böden und den Tod der Nahrung für die Städter. Unsere Erkenntnis daraus ist, dass weder der Marketingmaßnahmen noch Forderungen an die (marktgläubige) Politik den Schwarzwaldbauern helfen. Wir sollten bedenken, dass der Strukturwandel in der sozialen Marktwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg seinen Anfang genommen hat. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Preise die Wahrheit sagen durch Richtig Rechnen, wie es Christian Hiß vorschlägt.
4. Produktivität ist ein ausreichender Maßstab der Produktion. Wendell Berry sieht in der Produktivität, dass ein Landwirt heute über hundert Menschen ernährt, keine Leistung phantastische Leistung, weil der Preis dafür der Verlust von Boden, Farmen und Farmern, die Wasserverschmutzung, der Verfall ländlicher Strukturen und die zunehmende Krisenanfälligkeit ist. Deshalb schlägt Wendell Barry vor, Produktivität durch Gediegenheit zu ersetzen, weil Gediegenheit von Gedeihen kommt. Gedeihen könne die Landwirtschaft nur zusammen mit Boden, Pflanzen, Tieren, und Gemeinschaften. Unsere Erkenntnis daraus ist, dass Hektar, Erträge, Milchleistungen usw. verführerische Maßstäbe und Treiber des Strukturwandels sind. Als Beispiele für Gediegenheit erinnern wir an Kaspanaze Simma aus dem Bregenzerwald , Markus Bogner vom Tegernsee oder den gerade verstorbenen Vogesenbauer Hansi Wehrey.
5. Es gibt zu viele Farmer. In der Wirtschaftswunderzeitnannte man das hierzulande Gesundschrumpfen. Damit der Rest der Landwirte ein mit Industriearbeitern vergleichbares Einkommen erwirtschaften könne. Wendell Berry sieht in dieser Abwanderung vom Land in die Stadt nur Vorteile für die Konzernökonomie, weil die abgewanderten Farmer durch Maschinen, Mineralöl, Chemikalien, Kredite und andere Gütern und Dienstleistungen ersetzt werden müssen. Trotz voller Supermärkte bleibe der ländliche Raum angeschlagen, weil mit dem Schwinden der bäuerlichen Bevölkerung auch der Boden und der Bezug dazu schwindet. Unsere Erkenntnis daraus ist, dass die die Kritik der Industriegesellschaft an der Industrialisierung der Landwirtschaft ebenso scheinheil ist wie die Politik für den Ländlichen Raum. Denn mit jedem Schwarzwaldbauer der aufgibt, schwindet ein Stück Kulturerbe. Den Sinn der bäuerlichen Kultur der Bodenhaftung hat uns Veronika Bennholdt-Thomsen im Vortag „Warum verteidigen die Bauern nicht ihr Eigenes“ bewusst gemacht.
6. Handarbeit ist schlecht. Dem Dogma der Arbeitsersparnis widerspricht Wendell Berry, grundsätzlich, weil der Ersatz von Handarbeit durch Maschinen die Lebensbedingungen nicht unaufhörlich verbessern kann. Er nimmt an, dass wenn Mineralöl und andere industrielle Inputs teurer werden, Handarbeit wieder notwendiger werden könnte, weil darin die größte unangezapfte Quelle nutzbarer Energie liegt. Unsere Erkenntnis daraus ist, dass der politisch geförderte Ersatz von Handarbeit durch Technik die Bauern ins Hamsterrad und die Abhängigkeit getrieben hat und zur Aufgabe drängt. Neue Bedeutung der Handarbeit zur Selbstversorgung misst die Postwachstumsökonomie nach Niko Paech bei.