Über die Entwicklung der regionalen Vermarktung hat sich Peter Volz von den Agronauten im Rahmen eines Projektes mit mir unterhalten. Das Gespräch hat mich zum weiteren Nachdenken angeregt, warum regional in aller Munde ist, aber die Masse anonym im Supermarkt gekauft wird. Liegen zwischen Euphorie und Wirklichkeit einfach Welten? Oder warum führen die vielen Versuche regionaler Direktvermarktung, über die Medien euphorisch berichten, nicht zum Durchbruch gegenüber globalen Supermärkten? Und wer bestimmt eigentlich dieses Geschehen?
Um diese Situation zu erklären, muss man über die Entwicklung unseres Ernährungssystems seit dem zweiten Weltkrieg nachdenken. Nicht um die Entwicklung zurückdrehen zu wollen, sondern zu verstehen, wie mit dem Wirtschaftswunder und dem freien Markt sich die regionalen Netzwerke von Bauern mit Müllern, Bäckern, Metzgern usw. schleichend aufgelöst. Damit wanderten die Arbeitskräfte von den Höfen in die Industrie, die mehr Einkommen und Freizeit bot. Die Kolonialwarenhändler, die verkauft haben, was es in der Region nicht gab, wurden von Supermärkten mit Vollsortiment abgelöst. Damit mussten sich die Schwarzwaldhöfe, die sich und die lokale Umgebung mit Getreide, Kartoffeln und sogar Gemüse versorgt haben, mussten rationalisieren und sich spezialisieren, um mit Produktverkauf das Geld für die notwenigen Maschinen aufzubringen. Dabei versprach im Schwarzwald die Milch noch am ehesten Gewinn.
Die Coronakrise hat nun die Abhängigkeiten dieses Versorgungssystems offenbart und noch mehr seine sozialen Probleme. Denn die von den Höfen, Metzgereien usw. abgewanderten Arbeitskräfte konnten nicht überall durch Maschinen ersetzt werden, sondern sind durch billige Saison-arbeiter*innen aus dem Ausland ersetzt worden. Zudem ist die hand-arbeitsaufwendige Erzeugung von Gemüse überwiegend in Länder mit billigen Arbeitskräften ums Mittelmeer abgewandert. Zu all diesen prekären Arbeitsplätzen kommt der Stress bei Erzeugung, Verarbeitung, Transport und Handel hinzu. Damit zeigt sich mehr denn je, dass die Detaildiskussionen um Klima, Tierwohl, Umwelt oder Biodiversität zu kurz greifen, weil sie die sozialen Hintergründe übersehen.
Wenn nun die Politik zu regionalem Einkauf auffordert und Diversifikation fördert, versuchen immer mehr Landwirte neue Erwerbszweige aufzubauen. Die Marktmacht der Discounter und Supermärkte wird damit aber nicht gebrochen, weil sie mit ihrem logistisch perfektionierten Vollsortiment immer billiger anbieten können. Denn mit ihren Produktions- und Handelsmengen haben sie geringere Stückkosten, was Ökonomen Skaleneffekt nennen. Dieser Vorteil wird durch billige Energie gestärkt. Und auch die überall zunehmenden Qualitätsstandards kann der Massenmarkt leichter erfüllen als regionale Kleinproduzenten. Ist also mit Marketing dieser Konkurrenzkampf zu überwinden?
Die Diskussion um regional übersieht, dass die Landwirtschaft heute spezialisiert ist und unsere Nahrung aus globaler Arbeitsteilung kommt. Damit Regionalisierung unseres Ernährungssystems nicht weiter in der Nische stecken bleibt, muss diese Arbeitsteilung der Erzeugung überdacht werden. In Verbindung mit den Fragen um die Vielfalt der Biodiversität und dem Energieverbrauch und dem Transport.
Ein solcher Wandel unseres Ernährungssystems braucht einen geistigen Wertewandel. Die Postwachstumsökonomie bietet den Wegzeiger dazu, wie er auch in der von Corona ausgelösten Rezession erkennbar ist. In der die klassischen Gewohnheiten wie die 40Stundenwoche und Freizeitansprüche bröckeln. Der Postwachstumsökonom Niko Paech hat den Weg vorgedacht, indem er vorschlägt die freie Zeit zum mehr Selbermachen zu nutzen um die globale Versorgung schrumpfen zu lassen. Damit entstünden neue Perspektiven für regionale Arbeitsteilung. Wenn man auch die Entwicklung nicht zurückdrehen kann, das schlummernde Erfahrungswissen der bäuerlich/lokalen Versorgungstruktur bietet Impulse für diese Reregionalisierung. Die Aktualisierung dieses Erfahrungswissen aus der Idylle wäre die neue Bildungsaufgabe.