Berge als Teil unseres Ernährungssystems sehen

Der 11. Dezember ist seit 2002, dem Internationalen Jahr der Berge, von der UNO zum Int. Tag der Berge erklärt. Im Int. Jahr der Berge haben wir die Schwarzwälder Thesen verfasst, die heute noch gültig sind. Mit dem Tag der Berge will die UNO bewusst halten, dass Bergvölker über ein wertvolles Erfahrungswissen und Praktiken für nachhaltiges Wirtschaften verfügen. Denn ein Drittel unserer wichtigsten Nahrungspflanzen, wie Kartoffeln, Mais oder Äpfel, stammen aus den Bergen. Mehr als ein Viertel der Landoberfläche der Erde sind Berge, wo 15 % der Weltbevölkerung leben. Im Zeitalter der Globalisierung sind Berge aber zur Kulisse geworden, weil ihre Produkte durch  höheren Arbeitsaufwand  und geringere Erträge immer weniger wettbewerbsfähig sind. Heute wankt die politische Rolle der Berge zwischen Wildnis oder Freizeitpark, wie uns Alpenprofessor Werner Bätzing beim Treffen zum Int. Jahr der Berge 2018 erklärt hat.

Eine alte Weisheit der Schwarzwaldbauern sagt, man solle kein Vieh gegen das Wasser kaufen. Dahinter steht der Einsicht, dass die Futterverhältnisse in den Bergen aufgrund der kürzeren Vegetation weniger gut sind als in den Tälern. Umgekehrt haben Talbauern früher gerne Vieh in den Bergen gekauft, weil es sich im Tal dann gut weiterentwickelte. Diese Einsichten hat der Fortschritt verdrängt, mit dem Tiere und Futter zur globalen Handelsware wie Technik geworden sind. Zwar stottern seit Corona und dem Ukrainekrieg die globalen Versorgungsketten.  Doch die Berggebiete kommen in der neuen Debatte um Versorgungsicherheit noch nicht vor, ebenso wir wie das dort dominierende Grasland. Stattdessen wird endlos der (technische) Umbau der Tierhaltung debattiert. Sind das nicht Zeichen des Paradoxes unserer Zeit, zwischen Versorgungssicherheit und den Bergen als Ökoalibi?  

Berge werden heute gerne als Ökoalibi benutzt, weil dort noch viele Hotspots seltener Arten sind, aber auch die größte Dichte von ökologisch wirtschaftenden Betrieben. Dennoch rückt von Tal zu Tal das Szenario näher, das der legendäre EWG-Kommissar Sicco Mansholt 1968 bei seinem Besuch im Schwarzwald ausgesprochen hat: im freien Markt werde es hier keine Landwirtschaft mehr geben, weil sie mit Gunstlagen nicht wettbewerbsfähig ist. Damals reagierte die Politik darauf mit der Einführung der Ausgleichszulage für Berggebiete. Zusammen mit  weiteren Landschaftspflege- und Agrarumweltprogrammen in den folgenden Jahren entstand in der Berglandwirtschaft wieder Hoffnung. Diversifizierung (wie Ferien am Bauernhof) und Erwerbskombinationen wurden Gegenmodell zum Wachsen und Weichen. Diese Hoffnung schwindet von Agrarreform zu Agrarreform wieder, weil die Ausgleichszulage abgebaut wird, so als ob die Erde eine ebene Scheibe wäre. Und weil sich auch die Wachstumslandwirt diversifiziert und damit die Berghöfe konkurriert. Und seit dem Ukrainekrieg schrumpfen die Mehrerlöse für ökologische und regionale Erzeugnisse. Womit sich der Preis- und Qualitätswettbewerb verschärft. Zugleich werden die Folgen der Klimaerwärmung auf den flachgründigen Böden an den Bergen verstärkt spürbar und machen die Erträge unsicherer.   

Mit der Globalisierung hat auch die Agrarforschung samt -Bildung und -Beratung den Bezug zu den Standortunterschieden aufgegeben. In den Bergen werden dieselben Praktiken wie in den Ebenen empfohlen. Erstaunlich war deshalb im letzten Jahr eine Studie von einer Gruppe von Agrar- und Umweltwissenschaftlern über „Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern – Wege zu einer raufutterbasierten Milch- und Fleischproduktion in Österreich und der Schweiz“. Der Untertitel hört sich zwar als Rezept an, die Studie nennt aber klar die Voraussetzungen dafür in unserem ganzen Ernährungssystem, Also nicht Einzelmaßnahmen retten die Berggebiete, sondern fas Ernährungssystem muß´neu gedacht werden. Die Studie setzt deshalb an der Kernfrage an, warum Jahrzehnte Ökologisierung der Agrarpolitik ihre Ziele nicht erreicht haben? Ein in der Studie erwähntes Best Pracis-Modell haben wir schon bei unserer Infotour im Herbst besucht. Jetzt stellt zum Internationalen Tag der Berge Dr. Florian Leiber vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick/Schweiz diese Studie vor: am Mittwoch, 14. Dezember 2022 um 20 Uhr im Landgasthof Schwanen am Fohrenbühl in Hornberg-Reichenbach. Damit hoffen wir eine grundsätzliche Diskussion über die Rolle der Landwirtschaft in den Bergen anzustoßen.

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