Diese vor 20 Jahren, im Internationalen Jahr der Berge, festgestellte Erkenntnis, ist jetzt wissenschaftlich bestätigt in der Studie „Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern“. In dieser Studie hat eine bunte Gruppe von Agrar- und Umweltwissenschaftlern die Bedeutung des Grünlandes für unser Ernährungssystem und die Berge heraus gearbeitet. Einer der Autoren, Dr. Florian Leiber vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick in der Schweiz, hat bei unserem Treffen zum Int. Tag der Berge am 14. Dezember auf dem Fohrenbühl darüber berichtet. Er hat über Kühe in den Bergen promiviert, auf Weiden in Zentralasien geforscht und mit dem FibL-Projekt Feed no Food (Füttere kein Essen) Vorarbeit für diese Studie geleistet.
Seinen Vortag begann Leiber mit der Kernfrage: Können wir es uns zukünftig leisten, die lokalen und globalen Graslandressourcen unzureichend zu nutzen? Denn ähnlich wie in den Alpenländern sind zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche der Erde Grasland. Doch noch können es sich die Schweiz wie die EU leisten, Futter zu importieren, um damit Eier, Milch und Fleisch zu erzeugen. Der Preis für das vermeintlich billige Importfutter sind Emissionen und Stickstoffverluste sowie die Vernachlässigung der eigenen Ressource Grasland mit ihrer Verbuschung und damit dem Verlust des Boden- und Lawinenschutzes. Diese Importfutterbasierte und das Ackerland belastende Tierhaltung nennt Leiber dekadent.
Das FibL hat sich deshalb im Feed no Food-Projekt der Frage gewidmet, ob und wie eine graslandbasierte Tierproduktion unsere Versorgung mit Eiweiß sichern könnte. Das ist machbar, war das Ergebnis, wie auch Praxisbeispiele zeigen. Die Tiergesundheit würde eher besser. Zudem würde grünlandbasierte Tierproduktion die knappe Ressource Ackerland von der Eiweißproduktion entlasten. Und im globalen Modell sind grünlandbasierte tierische Produkte nachhaltiger. Im biologischen Landbau könnte der Verzicht auf Futter von Ackerfrüchte die Leistungslücke für die Ernährung schließen.
Doch mit dem Weglassen von Kraftfutter bei Kühen verbessert sich die Situation des Graslandes nicht automatisch. Es braucht die Einsicht, dass unser Futterimport-abhängiges Ernährungssystem nicht nachhaltig ist. Die Frage nach dem richtigen Maßstab für Effizienz stellt sich. Mit Untersuchungen aus der Praxis zeigte Leiber, dass Kraftfutterfütterung an Milchkühe nicht so effizient ist, wie es in den Lehrbüchern steht. Die Kernfrage dahinter ist, ob wir die Effizienz weiter nach dem geringst möglichen Arbeitsaufwand oder an der bestmöglichen Nutzung der Fläche messen? Dazu gehört auch die politische Frage, was uns die Multifunktion des Graslandes mit seiner CO2-Speicherung, Biodiversität und für die Landschaft wert ist? Boden und Tiere in diesem System fruchtbar zu halten und damit im Kreislauf arbeiten nennt Leiber Konsistenz. Neudeutsch wird von regenerativ gesprochen. Einen radikalen Weg dazu hat Biosuisse beschritten, indem seit 2022 bei Kühen Kraftfutter auf 5 % des Gesamtfutters limitiert wurde.
Damit Grasland und damit Landbewirtschaftung in den Bergen wieder Sinn bekommen, braucht es den Mut, in unserem Ernährungssystem den eigenen Boden mit dem was auf den Teller kommt wieder zu integrieren. Den Konsum billiger Massenware durch High-qualität zu ersetzen um die Erzeugung von High input auf Low input umzustellen. Dann erhalten die Wiederkäuer als Verdedeler von Grasland zu Milch und Fleisch eine zentrale Rolle. Noch ist ihre Zucht aber leistungsorientiert und kraftfuttersüchtig. Grünlandbasierte Milch- und Fleischerzeugung brauche suffiziente Tiere, was heißt, wieviel ist am jeweiligen Standort genug. Auch dazu forscht das FibL. Bilder von weidenden Tieren mit Bergen im Hintergrund sind also nur Alibi für unser Importabhängigkeit, wie die ganze Tierwohldebatte. Was fehlt ist eine überzeugende Erzählung für die Nachhaltigkeit der Milch- und Fleischerzeugung vom Grünland. Die wissenschaftlichen Argumente sind schon da.