Weidemangel offenbarte sich beim Weidegespräch am 15. Juli 2022 im Hinterholz in Schiltach-Lehengericht. Knappe Niederschläge und ungewöhnliche Hitze schon im Juni haben den Nachwuchs der Weiden gebremst und das übliche Sommerloch total vertieft. So verkehrt sich die politische Debatte um Offenhaltung der Landschaft ins Gegenteil. Weidemangel kann zwar kurzfristig durch Zufütterung ausgeglichen werden, aber er ist eine Herausforderung der Klimaerwärmung, auf die Antworten aus Wissenschaft, Bildung und Beratung fehlen. Deshalb versuchen wir einige Kernfragen bewusst zu machen:
- Warum stellt das Gras bei Hitze das Wachstum ein?
Wie das Titelbild aus dem Buch „Die Wiese als Ökosystem“ von Hubert Schmidt zeigt, ist der Graszuwachs zwischen 17 und 21 Grad maximal und er sinkt unter 15 wie über 25 Grad deutlich ab. In den Höhengebieten ist bewusst, wie mangelnde Wärme im Frühling den Graswuchs verzögert. Mit der Klimaerwärmung wird der Frühling zwar früher, aber die zunehmenden Hitzeperioden offenbaren nun die andere Seite der Graswuchskurve. Biologisch ist das Verdorren der Pflanzen bei Hitze ein Selbstschutz der Reserven in den Stoppeln und Wurzeln, für den Wiederaustriebe danach oder nach dem Winter.
- Warum werden in Hitzeperioden Boden- und Standortunterschiede deutlich?
In Hitzeperioden dorren an den Schwarzwaldbergen besonders flachgründigen Stellen zuerst aus. Da sind die Stellen, wo unter der flachen Humusschicht von 10 bis 15 cm Geröll und Steine direkt anstehen. Steinriegel in der Landschaft sind Zeugen wie auf den Äckern der früheren Versorgungswirtschaft Steine ausgegraben und aufgesammelt werden mussten. Im heutigen Grünland verstärken die Steine im Boden die Austrocknung von der Sonne, indem sie sich bei Hitze im austrockneten Boden aufheizen. Weshalb die Dürre an den flachgründigsten Stellen zuerst sichtbar wird. Bei längeren Temperaturen über 30 Grad erfasst die Dürre die ganzen Sommerberge, während die Winterberge und Talauen noch grün bleiben, aber auch kaum noch wachsen. Durch die unregelmäßigeren Niederschläge verschieben sich auch die Standortunterschiede zwischen Tälern und Höhenstufen.
- Warum unterscheiden sich bei Hitze intensive und extensive bzw. ökologische und konventionelle Flächen kaum?
Die wissenschaftliche Debatte um Intensivierung ist von der Ertragssteigerung mit Mineraldünger geprägt. Die Debatte um extensiv vom Artenschutz. Wobei Ertrag (sowie Futterqualität) und Artenzahl die Widersprüche sind. Extensivierungsprogramme und die Förderung des Ökologischen Landbaues haben in den letzten Jahrzehnten in den Mittelgebirgen Einzug gehalten. Damit verbunden ist ein gewisser Aushagerungsprozess, der sich am Wandel der Pflanzenbestände zeigt. Leider wird die Entwicklung immer noch nicht wissenschaftlich begleitet. Wohl weil Pflanze und Tierhaltung getrennt betrachtet werden.
- Was ist die eigentliche Herausforderung des Graslandes in der Klimaerwärmung?
Grasland hat im Gegensatz zu den Getreidearten für sein Nachwuchsvermögen über Sommer einen kontinuierlichen Wasserbedarf. Hitzeperioden stören durch hohe Verdunstung und Austrocknung des Oberbodens die Wasserversorgung. Deshalb ist es wichtig, diese Austrocknungsgefahr durch tiefen Verbiss oder Schnitt nicht noch zu verstärken. Der Erhalt einer entsprechenden Stoppelhöhe schützt den Boden vor der Sonne. Nicht übernutzte Weiden sind im Vorteil, weil die narbenbildenden Untergräser mit ihren Bodenblättern und Ausläufern die Narbe dichter machen, als die langsamer nachwachsenden Horste der Obergräser der Mähwiesen. Denn nur grüne Pflanzen können mit ihren Wurzeln die Wirkgemeinschaft des Bodenlebens zur Versorgung mit Wasser und Nährstoffen länger erhalten.
Mittelfristig erfordert der zunehmend ungleiche Graswuchs über Sommer eine Optimierung von Futterfläche und Tierhaltung. Um die ökonomischen und ökologischen Vorteile der Weide zu erhalten gilt es Stress abzubauen und die Ansprüche der Weidetiere mit denen der Weidepflanzen in Einklang zu bringen. Dazu muss das Ertragspotential der Standorte neu eingeschätzt werden, wie es das badische Beratungsinstitut für Höhenlandwirtschaft 1955 getan hat. In seinen Arbeiten ist nachzulesen, dass der Futterflächenbedarf in Lehengericht doppelt so hoch war wie in Steinach im Kinzigtal und in den Gemeinden um den Thurner fast dreimal so hoch. Weil die aktuellen ökonomischen Betriebskonzepte dies Standortunterschiede zu wenig berücksichtigen, nimmt infolge der Hitzeperioden der Futter- und Gülletourismus zu, der mit seinem Energieverbrauch wiederum die Klimaerwärmung fördert. Weiter besteht Anpassungsbedarf in der Zuchtwahl der Rinder, weil das übliche Leistungsdenken mit Weide und Gras immer weniger zu erfüllen ist. Und dann war beim Weidegespräch im Hinterholz zu beobachten, wie mit Bäumen bestandene Weideteile von Weidetieren bevorzugt werden und in ihrem Schatten weniger schnell austrocknen. Weiden parkähnlich gestaltet werden sollten, wie es Anita Idel empfiehlt.