Weide und die ewige Kain und Abelgeschichte

Unsere Weidegespräche scheinen Nachahmer zu finden. Weideabende und -tagungen gehören heuer zum Trend landwirtschaftlicher Veranstaltungen. Weniger aber um die Weide als tiergemäße, arbeits-, energie- und kostensparende Haltungsform bewusst zu machen, sondern dort wo Weide die letzte Nutzungsmöglichkeit ist vom Wolf auszuzäunen. Wolfsmanagement mit Schutzzäune als neue polisch geförderte Geschäftsidee? Dieselbe Politik gewährt parallel auch für Milchkühe Weideprämien. Doch bei der von den Supermarktkonzernen gesteuerten Haltungsformendebatte kommt Weide nicht vor, obwohl mit Bildern weidender Kühe auf vielen Milchpackungen geworben wird. Erinnert dieser Umgang mit der Weide nicht an die biblische Geschichte von Kain und Abel?

Der Ackerbauer Kain hat den Hirten Abel erschlagen aus Neid über die von Gott geachteten Opfer-lämmer. Die wachsen ja wie das Gras von selber. Wenn man die landwirtschaftliche Diskussion verfolgt, könnte man glauben, dass sie immer noch von diesem Kains-Neid beherrscht ist. Denn als erkannt worden ist, dass Weidetiere ihre Weide düngen und für die Regenration der Weidepflanzen sorgen, konzentrierte sich der Neid auf den Dünger, den man für den Acker brauchte. Deshalb wurde im 19. Jahrhundert der Kleeanbau auf dem Acker eingeführt, um die Tiere auch im Sommer im Stall zu füttern und Mist für den Acker zu gewinnen.

In den letzten Jahrzehnten hat der Mais den Kleeanbau abgelöst. Der leicht silierbare Mais hat die ganzjährige Silagefütterung im Stall perfektioniert. Das im Mais fehlende Eiweiß wurde durch Soja ersetzt, dessen Anbau in Übersee die Weide abgelöst hat. Den Dünger aus diesem importierten Futter verkraftet der Mais gut, nur kann er in seiner kurzen Vegetation den Stickstoff im Boden weniger halten wie das immergrüne Grasland. Doch als nachwachsender Rohstoff für Biogas hat der Mais weitere Verbreitung gefunden.
Weiden also nur noch die letzte Möglichkeit um hängige, steinige und auch feuchte Lagen offen zu halten? Ja, aber nur für Mutterkühe oder Schafe, weil für Hochleistungskühe Weidegras nicht ausreicht. In der Folge sorgt sich die Gesellschaft um die gewohnte Landschaft und will Natur und Landschaft schützen und damit auch den Wolf. Vergessen hat man, dass man die Landschaft nur schützen kann, wenn man ihre Kultur schützt. Und die Weide war immer Teil der Agrarkultur, nicht der Wolf. Früher sind Äcker und Gärten mit Zäunen vor den Weidetieren geschützt worden. Dann wurden sie gesetzlich aus dem Wald verbannt. Damit die Weidetierhalten, wie die Abel jetzt genannt werden, die Landschaft offenhalten, muss die Weide aufwendig vor dem Wolf ausgezäunt werden.

Der Staat fördert die Landschaftspflege sogar. Bei der Beurteilung der Pflege nutzt die Administration aber den ackerbaulichen Kainsblick. Die von den Weidetieren selektierte Vielfalt der Weidepflanzen stört, weshalb Mulchen oder Nachmähen verlangt wird. Und das obwohl Weiden keine Mono-kulturen und Weidetiere keine Rasenmäher sind. Diese Sicht ist eine Neuauflage der Weideempfehlungen in alten ackerbaulich dominierten Lehrbüchern. Nicht nur Nachmähen der Geilstellen, gehörte dazu, sondern auch das Absammeln der Kuhfladen. Und trotzdem gab es beim nächsten Auftrieb wieder Geilstellen.

Erst in den letzten Jahrzehnten haben Pioniere wie Peter Thometh (siehe Titelbild) in der Schweiz oder Andre Pflimlin in Frankreich die Weide als effizientes Low-Input-system bewusst gemacht. Sie haben erkannt, dass die Einteilung der Weide in Koppeln und die Portionierung mit dem Elektrozaun zwar die Hirten ersetzt hat, aber die Weidetiere damit nicht recht zufrieden sind. In der nach Kains-Blick rationalen Weidewirtschaft blieben nicht gefressene Geilstellen und Trittschäden Störfaktoren. Heute wissen wir, dass Geilstellen, Kuhfladen und Trittschäden Biotope sind, Lebensräume für Insekten. Die neuen Weidepioniere erkannten zudem, dass die Rationierung der zugeteilten Weide dem Wesen der Weidetiere so wenig gerecht wird, wie die Stallfütterung. Die alten Hirten, also die Abels wussten, dass Weidetiere selektieren wollen und deshalb nicht einfach zu hüten sind. Sie fressen zwar bevorzugt junges, weil eiweiß- und energiereiches Weidegras, dann aber wieder an überständigen Weideresten und knappern gern an Hecken. Zum Wiederkauen haben sie je nach Wetter ihre Lieblingsplätze.
Dazu bevorzugen Weidetiere großflächige Weiden. Die Pioniere haben erkannt, dass so Zufütterung gespart und die Milchleistungen mit guten Inhaltsstoffen stabiler ist und Jungtiere sich gut entwickeln. Dazu muss die Weidefläche so groß sein, dass täglich so viel nachwächst wie gefressen wird. In graswüchsigen Ländern wie Irland oder Neuseeland ist das einfacher als hierzulande. Hier lässt nach der Sommersonnenwende der Graswuchs in der Regel merklich nach. Weshalb eine Dynamik des Weidewirtes im Sinne des Hirten Abel und nicht des Ackerbauers Kain gefragt ist. Es geht darum die Weidefläche im Sommer fast zu verdoppeln und im September nochmals. Also nicht Weide und Mähwiesen stur abzugrenzen oder nach alten Lehrbüchern zwischen Weiden und Mahd zu wechseln, was Mähweide genannt wurde. Die Erweiterung der Weidefläche um zuvor gemähte Flächen ist die Kunst des Weidewirtes. Fachleute nennen das Mähstandweide. Sie entspringt der alten Kunst der Hirten, die deswegen lateinisch Pastor genannt werden.

Doch diese dynamische Kunst der Abel lässt sich mit der Administration von der Politik gewährten Weideprämien für Milchkühe schwer vereinbaren. Als Nachweis werden Weidetagebücher verlangt, aus dem Kainsdenken der ackerbaulichen Monokultur. Damit sollen 120 Weidetagen nachgewiesen werden, ob sich die Kühe auf der Weide wäre schwerer zu erfassen. So verkommt die Weide zum Symbol, weil die Kuhherden durch den Strukturwandel größer geworden sind und der Aufwuchs der vom Hof erreichbaren Weideflächen oft nicht mehr ausreicht. So wird überwiegend im Stall gefüttert, oft mit Mais und Kraftfutter vom Acker und die Weide ist nur Auslauf zur Siesta. Auch das neuerdings als Comeback der Weide verkündete Mobgrazing kommt vom Acker als Beweidung von Zwischenfrüchten zur Humusanreicherung und ist eine Wiederkehr der Portionsweide. So versuche Ackerbauern die natürliche Humusbildung der Weiden nachzuahmen.
Die Kain- und Abelrollen überwinden
Seit der Sesshaftwerdung der Menschen, auch landwirtschaftliche Revolution genannt, spricht man von Ackerbau und Tierzucht. Die fruchtbarsten Ackerböden waren durch Weidetiere entstanden, wie die kritische Tierärztin Anita Idel erkannt hat. Denn der Biss der Graser regt nicht nur Graswuchs an, sondern auch das Wurzelwerk, das Humus aufbaut. Unsere Vorfahren haben diesen Effekt zur Regeneration der Äcker genutzt durch die Brache in der Dreifelderwirtschaft oder in nieder-schlagreichen Gebieten durch die Feldgraswirtschaft. Die Mineraldünger haben diese regenerierende Rolle von Gras und Grasern ersetzt und Ackerbauern von der Viehhaltung unabhängig gemacht und die Verbrüderung von Kain und Abel wieder aufgehoben. Doch Weide braucht eine andere Sicht. Statt Trennung von Weide, Wiese und Wald ist zukunftsfähige Weidewirtschaft eine Parklandschaft mit Schatten und Wasser. Die Probleme der Landwirtschaft zu lösen ist die Herausforderung Ackerbau und Tierhaltung wieder standortangepasst zu integrieren, damit sich die Kain und Abel-geschichte nicht immer wieder wiederholt.

Weide und die ewige Kain und Abelgeschichte
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