Weide neu denken

Weidende Kühe zieren Milchpackungen und Tourismusprospekte. In Medien wird das Rülpsen der Kühe endlos als Klimakiller angeprangert. Die kritische Tierärztin Anita Idel hat in ihrem Buch: „Die Kuh ist kein Klimakiller – Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können“ die wirklichen Fakten zusammengetragen. Unzählige Vorträge hat sie darüber gehalten, bei uns am Aschermittwoch 2019 und zuletzt in St.Märgen. Doch der Zeitgeist der einfachen Rezepte tut sich schwer mit den Zusammenhängen von Kuh, Gras, Boden und Klima. Weshalb Anita Idel nach ihrem Vortrag in St. Märgen mich besucht hat um uns über die Rolle der Weide im Schwarzwald auszutauschen.

Anita Idels Weide-Botschaft

Der Kern Anita Idels Botschaft ist, dass der Biss der Weidetiere das Wachstum der Gräser mit neuen Wurzeln anregt und aus den absterbenden Wurzeln Humus entsteht, der CO2 bindet. Durch diese Symbiose von Gras und Graser in den Steppen, Prärien oder Savannen fruchtbaren Schwarzerde-böden entstanden. Warum aber nicht in den übrigen Gebieten? Auch dazu gibt Anita Idel die Antwort, weil Bäume den Biß der Weidtiere nicht ertragen. Dennoch konnten in den niederschlags-reicheren Gebieten die wilde Weidetiere das Aufkommen des Waldes nicht aufhalten. Im Wald werden das CO2 bei der Fotosynthese jedoch im Holz gespeichert, denn die Wurzeln als Anker der Bäume sterben nicht ab. Weshalb im Wald nur aus dem Laubfall Humus gebildet wird, unter Nadelbäumen nur Rohhumus, auf dem nur Heidelbeeren u.ä. gedeihen. Die Impulse von Anita Idel haben mich motiviert, die Entwicklung im Schwarzwald genauer zu verstehen und darüber haben wir uns ausgetauscht.

Aus Wald wird Weide

Wir können uns nur schwer vorstellen, wie der Urwald vor der Besiedelung im Mittelalter ausgesehen haben mag, den die Römer schwarzen Wald nannten. Wohl gab es immer schon Hirsche, Rehe u.a. Weidetiere, die von Wölfen und Bären getrieben wurden. Einzelne Zeugnisse von Kelten im Schwarzwald lassen auch darauf schließen, dass sie ihre Tiere weiden ließen. Daraus ist zu vermuten, dass es im Urwald durch Weidetiere Auflichtungen gab, es also kein geschlossener Wald war, wie wir ihn heute kennen. Bei der Besiedelung im Mittelalter brachten die Klöster mit ihren Siedlern aus den Altsiedelgebieten wohl Rinder mit, die als Zugtiere dienten und sich auf den gerodeten Waldflächen durch weiden konnten. 700 Jahre nach der Besiedlung war der Schwarzwald weitgehend abgeholzt, wie die Grafik im Titelbild zeigt. Erst ein bescheidener Teil der Fläche war zu Acker und Mähwiesen kultiviert. In den ersten Statistiken über die Landnutzung dominiert Un- oder Ödland, das in der Grafik als Weideberge zusammengefasst ist:

Die Feldgraswirtschaft

In dieser Phase wurde im Schwarzwald die Bedeutung der Bodenfruchtbarkeit wohl erkannt. In den steilen westlichen Tälern machte die vom Rütibrennen der Niederwälder einen einjährigen Anbau von Korn möglich. In den flacheren östlichen Tälern wurde ein Streifen der Weidberge umgepflügt, wobei in der Regel unzählige Steine entfernt werden mussten. Auf dem Humus der Grasnarbe konnten ein bis zwei Jahre Getreide angebaut werden. Dann blieb der Feldstreifen der Selbstberasung überlassen und oberhalb wurde ein neuer Streifen umgebrochen. Weil die einfachen Holzpflüge nur abwärts wenden konnten, musste die unterste Furche nach oben befördert werden um die Erosion zu vermeiden. Mit Einführung der Kartoffeln und des Kleeanbau anstelle der Selbstberasung wurde die Feldgraswirtschaft mit der Fruchtfolge Hafer, Kartoffel, Roggen mit Einsaat zur Regel. Damit verbunden war mehr Stallfütterung damit mehr ist für den Acker erzeugt wurde. Mit eisernen Pflügen und schließlich dem Traktor wechselte die Rollierung nach unten, weil mit den Traktorpflügen bergwärts gepflügt werden konnte. So ist der größte Teil des heutigen Grünlandes im Schwarzwald durch diese Feldgraswirtschaft kultiviert worden.

Die Vergrünlandung

Mit Wirtschaftswunder und dem europäischen Markt verlor der Ackerbau an Wert. In Verbindung mit Flüssigmist-aufstallungen, die keine Einstreu mehr brauchte, kam es zur Vergrünlandung. Dazu erforderte der wirtschaftliche Druck höhere Milchleistungen, die Kraftfutterzukauf nötig machten. Dabei entpuppte sich das gelobte Vorbild Allgäu als Rechnung ohne den Boden. Denn die flachgründigen und sauren Urgesteinsböden sind nicht so graswüchsig wie die Moräne-böden des Allgäu. Weshalb großblättrige Kräuter wie St. Ampfer oder Kerbel schneller zunahmen und bis heute mit dem Experimentieren von Grünlandverbesserung zu reparieren versucht werden. Die Wurzel der Probleme fanden kritische Berater im durch Kraftfutterzukauf aufgeschaukelten Nährstoffkreislauf. St. Ampfer und Kerbel sind ja Nährstoffzeiger. Und der mit der Hoftorbilanz leicht zu ermittelnde Nährstoffkreislauf ist vom natürlichen Ertragsvermögen abhängig. Dagen hatte die von Naturschutz hoffierte Aushagerung bis in die 1970 Jahre im manchen Schwarzwaldtälern zu Mangelkrankheiten geführt (Dorre).

Die Weide mit den Standortbedingungen denken.

Die geschilderte Entwicklung hat die Weide auf nicht mähbare, steile, steinige oder nasse Flächen zurückgedrängt. Für rentable Milchleistungen oder marktfähige Schlachttiere reichen diese Weiden nicht aus. Weshalb Zufütterung im Stall und ganzjährige Silagefütterung zur Regel geworden sind. Vorschläge in den 1990er Jahren der Weide als kostensenkende Lowinput-Strategie wieder Sinn zu geben, haben diesen Trend ebenso so wenig wie Weidemilch und Weideprämien. Eine ähnliche Entwicklung nehmen Empfehlungen zum Klimaschutz durch nachhaltiges Weide-management, obwohl die Urheber die Anpassung an den Standort betonen. Diese Anpassung erfordert Identität mit dem Standort, wie sie die Irische Milchwerbung betont, siehe: https://www.kerrygold.de/irische-weidehaltung/ Auch bei unserer Infotour in die Schweiz 2022 haben wir die Auseinandersetzung mit dem Standort beispielhaft erfahren, siehe: https://forumproschwarzwaldbauern.de/die-zucht-ist-das-a-und-o-fuer-den-kulturwandel/ Anita Idel‘s Erkenntnisse über das Potential der Weide Mit unseren Verhältnissen in Einklang zu bringen, ist unsere Herausforderung. Denn weder saubere (übernutze) Weiden noch zu wenig Weidedruck im Frühsommer (der Weideunkräuter wie Ginster fördert) nutzen dieses Potential optimal.

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