Weil Treffen zu dem für uns wichtigen Thema derzeit nicht möglich sind, haben wir dem neuen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir folgenden Brief geschrieben und ihn aufgefordert zur Einlösung seines Versprechens, das Höfesterben auszubremsen, von den Wurzeln aus zu denken:
Ihrem Amtsantritt folgt am 11. Dezember der Internationale Tag der Berge, weshalb wir diesen offenen Brief aus den Bergen schreiben. Diesen Tag hat die Welternährungsorganisation FAO ausgerufen nach dem Internationalen Jahr der Berge 2002, dass den Bergen wieder Sinn geben sollte. Daran hatten wir uns nach Aufforderung des Landwirtschaftsministeriums damals beteiligt und Probleme und Perspektiven in den Schwarzwälder Thesen verfasst. Wir fügen sie Ihnen z.K. als Anlage 1 bei, weil sie bis auf einige Begriffe immer noch zutreffen.
Zu ihrer Arbeit als Minister für Ernährung und Landwirtschaft möchten wir Sie auf drei blinde Flecken in der agrarpolitischen Diskussion aufmerksam machen, unter denen die Berggebiete leiden:
- Der Konflikt Landwirtschaft und Ökologie ist der Konflikt unseres Wirtschaftssystems mit unseren Lebensgrundlagen. Dieses Spannungsfeld kann weder Landwirtschaft noch Ökologie allein auflösen. Denn es hat aus unser Erfahrung zwei Denkfehler: Der eine ist, dass man Natur wie industrielle Produktion managen, regeln und kontrollieren will, Ökosysteme aber dynamisch sind, und sich ständig anpassen, an die Jahreszeiten, wie an Boden und Klima. Der andere Denkfehler ist, dass am freien Markt nur diejenigen schwarze Zahlen schreiben, die die geringsten Kosten haben und keine Rücksicht auf Ökologie nehmen. Davon lenken die Markmächte ab mit Bildern von idyllischen Bauernhöfen und Streicheltieren. In den Bergen sind diese Denkfehler stärker spürbar, weil Berge sich nicht wegrationalisieren lassen und deshalb noch mehr schützenswerte Biodiversität besitzen, und Bergbauern sich als Ökolalibi fühlen. Was keine der Kommissionen der letzten Jahre geschafft hat, hat der Demetergärtner und Ökonom Christian Hiß vom Kaiserstuhl aufgearbeitet. In seinem regionalen Engagement hat er erkannt, dass das Kernproblem in der Buchhaltung steckt. Weil Aufwendungen für Boden, Natur oder Region dort nur Kosten sind, die den Gewinn drücken. Deshalb hat er die Buchhaltung zum Richtig Rechnen weiterentwickelt, wofür sich inzwischen sogar Konzerne interessieren. Warum die Agrarpolitik noch nicht? Deshalb fügen Ihnen das Büchlein „Landwirtschaft wertschätzen“ (2) bei, das seine ganze Arbeit zur Lösung des Spannungsfeldes beschreibt.
- Die Landwirtschaft gibt es nicht. Denn sie ist so verschieden wie die natürlichen Boden- und Geländeverhältnisse und hat regionale Kulturen entstehen lassen. Die pauschalen Debatten um konventionell oder ökologisch, bäuerlich oder industriell, Haupt- oder Nebenerwerb werden dieser Vielfalt nicht gerecht, spaltet aber die schrumpfende Landwirtschaft und verdrängt die Standortunterschiede. Denn die liegen konkret zwischen ackerbaulichen Gunstlagen, in denen sich auch die Tierhaltung konzentriert hat, und den nicht ackerwürdigen Berg- und Grünlandgebieten. Diese Problematik ist schon zu Beginn des gemeinsamen europäischen Marktes erkannt und deshalb die Ausgleichszulage für Berg- und benachteiligte Gebiete eingeführt worden. Inzwischen baut die Agrarpolitik aber diesen Standortausgleich ab, als ob die Erde durch die Globalisierung eine Scheibe wäre. Diese Teilung der Landschaften hat der Kulturgeograf Werner Bätzing in den Alpen in der Streitschrift „Zwischen Wildnis und Freizeitpark“ bearbeitet. Weil seine Erkenntnisse auch für unsere Mittelgebirge zutreffen, fügen wir Ihnen diese Streitschrift (3) bei.
- Die Tierwohldebatte greift zu kurz. Denn der Druck zum Umbau der Ställe ist längst Treiber des Strukturwandels und der weiteren Konzentration der Tierhaltung, für deren Folgen für Umwelt, Klima und Biodiversität die Landwirtschaft pauschal angeprangert wird. Dabei wird völlig übersehen, wie sich die Rolle der Nutztiere in unserem Ernährungssystem gewandelt hat. Bis vor einem halben Jahrhundert hatten Nutztiere die Aufgabe, das vom Menschen nicht direkt nutzbare Grasland sowie die Abfälle der Ackerfrüchte zu Lebensmitteln zu veredeln. Aus dieser Veredelung zur Ernährungssicherung haben die Rationalisierungszwänge eine globale Konkurrenz zwischen Teller, Trog und Tank gemacht und Grasland wie Abfälle entwertet. Weder in der beschlossenen Agrarreform noch in der Klimadebatte kommt ist Grasland als größter CO2- Speicher erkannt. Wohl weil die besten Ackerböden immer noch davon zehren, sind Berge Kulisse, aber werden immer häufiger Opfer von Dürren oder Starkregen. Im kürzlich erschienenen Buch „Klimapositive Landwirtschaft“ hat die Tierärztin Anita Idel in ihrem Beitrag herausgearbeitet, warum die Potentiale des Grünlandes immer noch dem Acker nachgeordnet werden. Nämlich weil die Symbiose von Grasern, Gras und Humus noch nicht als effizient gesehen wird. Die Thesen von Anita Idel fügen wir als Zusammenfassung ihres Vortrages 2019 bei uns z.K. bei.
Diese Problematik hat auch eine Gruppe von Umweltwissenschaftlern in der Studie „Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern“ bearbeitet. Ihr Ansatz war die Frage, warum die Ökologisierung der Agrarpolitik die Umweltprobleme nicht gelöst haben. Ihre Handlungsempfehlungen daraus setzen der Rückführung der Milch- und Fleischerzeugung auf graslandbasierte Fütterung, die den Bergregionen wieder Sinn gäbe und auch die Umwelt in den Gunstlagen entlasten würde. Unsere Zusammenfassung (5) fügen wir Ihnen ebenfalls bei.
Sehr geehrter Herr Minister Özdemir, mit unserem Brief wollen wir darauf aufmerksam machen, wie sich die Diskussion im Kreis dreht, weil sie die Kernprobleme umgeht. Zwar werden mit jeder Agrarreform mit neuen Begriffen, wie aktuell Eco-Schemes, Versprechungen verbreitet, die aber verwirren statt erklären. Dabei beobachten wir mit Sorge, wie die Begründung bei der Umsetzung in der Praxis zwischen Ländern, Bund und EU hin- und hergeschoben wird. Deshalb unsere Forderung, wir brauchen nicht mehr Regelungen, sondern mehr Aufklärung. Dazu empfehlen wir Ihnen, sich anzuschauen, wie die Agrarpolitik bei den Bauern ankommt. Schauen sie sich bitte die Anträge an und nehmen Sie mal an einer Vorortkontrolle teil. Diese Eindrücke hat Ökojournalistin Tanja Busse in ihrem Buch „Das Sterben der anderen – Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können“ treffend beschrieben