Der Soziologieprofessor Stephan Lessenich nennt unseren Lebensstil Externalisierungsgesellschaft und hat darüber das Buch „Neben uns die Sintflut“ geschrieben. Bei einem Vortrag im Ökumenischen Zentrum in St.Georgen hat er am Beispiel des Wirbelsturm Idai erklärt, der wenige Tage zuvor Südostafrika verwüstet hat, dass die, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, am meisten betroffen sind. Denn je reicher Ökonomien werden, umso größer würde ihre Reichweite, um mit den Machtstrukturen des Freihandels die dritte Welt auszubeuten. Damit unsere Preise günstig bleiben, aber andere dafür verzichten und für die Folgen zahlen müssen. Gibt es in unseren vermeintlich reichen Ländern nicht auch innen ähnliche Parallelen, zwischen Stadt und Land und zwischen Konsumenten und Landwirtschaft?
Diese Externalisierung von Kosten und Risiken habe mit der Migrationsbewegung und dem Klimawandel zurückzuschlagen begonnen. Unsere Schülergeneration scheint mit der „Friday for future“-Bewegung zu erkennen, was die Politik noch verdrängt. Nämlich, dass wir Kosten und Risiken unserer preiswerten Versorgung in die Zukunft verlagern. Hat aber die Sintflut neben uns nicht unser Versorgungssystem im Land längst erfasst in Form prekärer Arbeitsplätze, Staus aus den Straßen und Umweltüberlastungen?
Wer vom Soziologen Lessenich Rezepte erwartete wurde, enttäuscht. Vals Soziologe erklärte er vielmehr, dass solange unsere kollektive Komplizenschaft die Externalisierung ausblende, wir das schwächste Glied in der Nachhaltigkeitsdebatte sind. Der Externalisierungshabitus der alten Markt- und Machtstrukturen sei mit Kapitalismuskritik und Reparaturmaßnahmen nicht zu überwinden. Statt nur von der Politik zu fordern, schlägt Lessenich vor, kollektiv politischer zu werden, indem wir die alte Komplizenschaft aus unserem Zusammenleben verbannen. Dafür gab Lessenich sechs A’s mit auf den Weg, die wir für die Landwirtschaft kursiv ergänzt haben:
Aneignen = die Marktökonomie muss Gewinn machen und beruht noch auf der kolonialen Vorstellung, dass man sich Natur und Arbeit aneignen kann. Die Aneignung der Arbeit hat Karl Marx als Erster erkannt. Die Aneignung der Natur hat 100 Jahre später die Umweltbewegung erkannt, die aber selbst Teil der Marktökonomie ist. Die Landwirtschaft ist in diesem Spannungsverhältnis zwischen Marktökonomie und Natur zunächst zur Intensivierung gedrängt worden wird jetzt der Aneignung und Zerstörung der Natur beschuldigt. Letztendlich ist der Strukturwandel Aneignung des Bodens durch die Mächte der Marktökonomie.
Ausbeutung = Voraussetzung zur sozialen Befriedung ist Umverteilung der Wertschöpfung aus Produkten, wozu Naturgüter, die keinen echten Preis haben, ausgebeutet werden. Unser agrarpolitisches System verlangt Nahrungsmittel zu angemessenen Preisen und nimmt in Kauf, dass dafür sowohl das Land als auch die bäuerliche Familienwirtschaft ausgebeutet werden.
Abwertung = Da Arbeit und Natur in der dritten Welt billiger sind als hierzulande, haben wir kein Problem damit, dass diese Dritten schlechter verdienen. Womit wir sie als dritte Welt abwerten. Abgewertet wird seit der Industrialisierung auch die Landwirtschaft. Erst die Arbeit in der Landwirtschaft durch die in der Industrie möglichen höheren Löhne und Freizeit, dann der Ertrag von Arbeit und Natur durch billige Importe von Lebens- und Futtermitteln und neuerdings die Natur durch Standards der Marktökonomie.
Auslagerung = Mit dem Auslagern der Produktion an Standorte, wo sie billiger ist, kommt es zur Vertreibung der dortigen Versorgungskultur und Entsiedelung von indigenen Kulturen. Die Auslagerung unserer Versorgung über importierte Lebens- und Futtermittel schafft hierzulande einerseits ökonomische Grenzstandorte, wie es im Schwarzwald immer häufiger zu beobachten ist, wo die Landschaft nur noch für den Tourismus offen gehalten werden soll. Anderseits sind in den Konzentrationsgebieten der Veredelung durch Futterimporte Gülleüberschüsse entstanden, die der Umwelt wegen ausgelagert werden.
Abschirmung = Freihandel bevorteilt höherentwickelte Länder, die sich dann vor der Migration aus weniger entwickelten Ländern abzuschotten versuchen. Die aktuelle politische Debatte um Migration hat in der in der Industrie-und Dienstleistungsgesellschaft auch Parallelen zwischen den idyllischen Vorstellungen des urbanen Lebensstils von der Natur und Tieren und der Wirklichkeit der praktischen Landwirtschaft, vor deren Gerüchen und Geräuschen man sich abschirmen möchte.
Ausblendung = Das System der Externalisierung funktioniert nur solange, wie die vorigen A‘s ausgeblendet und kollektiv verdrängt werden. Deswegen greift es zu kurz, nur Details oder Sektoren wie die Landwirtschaft wenden zu wollen, sondern erst wenn wir die vorgenannten A‘s der Externalisierung unseres Konsumsystems erkennen und kollektiv aufgeben kann der Kulturwandel zu einem nachhaltigen System gelingen.