Gedanken von Prof. Onno Poppinga zu Methanfreisetzung und die Industrialisierung der Landwirtschaft in Deutschland November 2020
Als Adam grub und Eva spann – wie wars denn da mit dem Methan?
Na klar – es bewegte sich in einem Kreislauf Boden-Pflanze-Tier-Atmosphäre. Die angenehme Folge war, dass Methan und die anderen „klimawirksamen Gase“, die aus natürlichen Prozessen stammten, durch ihren Schutz vor starker Wärmeabstrahlung die Erde erst belebbar gemacht hatten. Ohne sie wäre die Erde eine vereiste Kugel geblieben. Ohne Methan keine Eva und kein Adam.
- Die bäuerlich-handwerkliche Gesellschaft:
Seitdem es den Menschen in Mesopotamien (heute in etwa Irak) vor gut 10 Tsd. Jahren gelungen war, den (asiatischen) Ur zu domestizieren, verbreiteten sich die daraus gezüchteten Rinder in vielen Regionen der Welt (nicht in allen). Ihre Bedeutung als Zugtier, als Milch- und Fleischlieferant, als Wärmespender in der kalten Jahreszeit und überhaupt als „Gefährte des Menschen“ war so groß, dass Kulturwissenschaftler heute von den „Gesellschaften auf 4 Klauen (und 4 Hufen)“ sprechen. Da schon immer ein großer Teil der landwirtschaftlichen Flächen aus Grasland bestand (aktuell sind es weltweit gesehen etwa 2/3!), bildeten (und bilden) die Rinder und Büffel, die Ziegen und Schafe die Lebensgrundlage eines großen Teils der Menschheit[1]. Es ist diese wirklich fundamentale Bedeutung, die die Kuh in Indien zur „heiligen Kuh“ werden ließ. Einer der besten Kenner der Rinder – Prof. Dr. Alfred Haiger von der Hochschule für Bodenkultur in Wien – bezeichnet den Pansen der Wiederkäuer denn auch als das „5. Element“ neben Erde, Wasser, Luft und Feuer (Sonne).
Und das Methan? Es entsteht notwendigerweise durch die „Arbeit“ von Methan erzeugenden Bakterien im Pansen bei der Umwandlung von zellulose – und ligninreicher Nahrung – die für Menschen nicht unmittelbar als Lebensmittel nutzbar sind – in Stärke, Proteinen und vielen mehr an für die Verdauung nutzbare Bestandteile. Nach dem Ausatmen verbleibt das Methan für einige Jahre (die Rede ist von durchschnittlich 12 Jahren, aber wer weiß das schon wirklich mit Sicherheit) in der Luft und kann dann nach dem Zerfall in CO2 und Wasser über die Photosynthese der Pflanzen den Kreislauf wieder von vorne beginnen. Also bis dahin: „no Problem“.
Als Zeitraum, in dem die von Menschen beeinflusste Klimaerwärmung begann, wird in Veröffentlichungen ziemlich einhellig die Mitte des 19. Jahrhunderts genannt. Dieser Zeitraum ist in der Debatte um die Klimaveränderung so etwas wie die gute alte Zeit, als noch „alles in Ordnung war“. Dieser Zeitraum gilt übrigens auch als die Periode mit der höchsten Artenvielfalt bei Flora und Fauna – und einer schon sehr entwickelten Landwirtschaft mit sehr, sehr vielen Rindern.
Die „gute, alte Zeit“ – aber was hatte es bis dahin nicht schon alles an tiefgreifenden Veränderungen gegeben?:
- Als Heizmaterial und für das Kochen wurden Moore großflächig entwässert und abgetorft. Kanalsysteme wurden angelegt, mit denen die Torfschiffe ihre Ladung in die großen Städte und Siedlungen bringen konnten.
- Ganze Wälder verschwanden, um den Energiebedarf der frühen Industrialisierung („Protoindustrialisierung“) zu decken: es war der „Holzhunger“ der Salinen in Lüneburg, der die Wälder verschwinden und die arme „Lüneburger Heide“ entstehen ließ; es war der Energiehunger der Glasindustrie der dazu führte, dass die Wälder des Schwarzwaldes in Holzkohle verwandelt wurden.
- Feuchtgebiete wurden trockengelegt, „Neuland“ dem Meer abgerungen.
Es entstanden dadurch die überaus fruchtbaren Fluss- und Seemarschen.
Und die Rinder? Sie waren immer dabei und das in großen Stückzahlen. Bis in die frühe Neuzeit ernährten sie sich über die „Brache“ als 3. Fruchtfolgeglied (nach „Winterung“ und „Sommerung“) und über die „Hute“ in den lichten Wäldern. Das Winterfutter war knapp, so dass viele der im Frühjahr geborenen Kälber im Herbst geschlachtet wurden. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert war „Rindfleisch“ vor allem Kalbfleisch. Eine sehr grundlegende Änderung für die Rinder erfolgte dann durch die „biologische Revolution“ in der Landwirtschaft, die Ende des 18. Jahrhunderts begann und weit in das 19. Jahrhundert hineinreichte. In ihr kamen sehr unterschiedliche Veränderungen zusammen
- Durch den wachsenden Holzbedarf der Städte, durch den Schiffbau und die Ausdehnung des Bergbaus wurde Holz knapp und teuer. Reaktion der Obrigkeit: die Bauern mit ihrer Hutegerechtigkeit für das Vieh wurden aus den Wäldern verdrängt. Die Fürsten und der Adel ließen die bis dahin lichten („parkartigen“) Mischwälder umwandeln in Forsten. Die „Verfichtung“ begann; aus Flächen mit einer sehr hohen Biodiversität wurden artenarme Holzungen.
- Das Wachstum der Bevölkerung führte zu steigenden Agrarpreisen. Reaktion der Obrigkeit: im Rahmen umfassender Agrarreformen wurde die Gemengelage der Flächen beseitigt („Verkopplung“, „Gemeinheitsteilung“), so dass das Land leichter privat und nicht mehr im dörflichen Zusammenhang bewirtschaftet werden konnte (sehr anschaulich und ungeschminkt schreibt der bedeutende Agrarreformer Albrecht Daniel Thaer über das Interesse des wohlhabenden Bürgertums, selbst Güter zu erwerben und zu bewirtschaften). Die Befreiung der persönlichen Abhängigkeit der Bauernfamilien von den Grundherren wurde so durchgeführt, dass die Bauernhöfe einige Millionen Hektar Land verloren und die Gutshöfe sich stark vergrößerten. Ein bis dahin nicht bekanntes privates („freies“) Bauerntum entstand, sehr produktiv, aber über Jahrzehnte belastet mit hohen „Ablösungszahlungen“ an die bisherigen Grundherren (zu denen auch die Kirchen gehörten).
Zur Grundlage für den starken Anstieg der Felderträge wurde der systematische Anbau von Leguminosen (Rotklee, Luzerne, Lupine u. a.). Dabei stammte die Kultivierung des Rotklees aus Italien, die des Weißklees aus Niederlanden. Mit Hilfe der Leguminosen wurden ganz neue und sehr produktive Fruchtfolgesysteme entwickelt. Die Erträge bei Getreide und Kartoffeln verdoppelten sich in etwa – und es gab neues, erstklassiges Futter für die Rinder und Pferde! In der Folge gab es eine starke Zunahme der Zahl der Rinder und eine Intensivierung der Fütterung.
Tabelle: Tierzahlen in Deutschland
um 1800 | um 1870/75 | |||
Zahlen | Schlachtgewicht je Tier | Zahlen | Schlachtgewicht je Tier | |
Rinder | 10 Mill. | 100 kg | 15,8 Mill. | 190 kg |
Schafe | 16,2 Mill. | k. A. | 25 Mill. | k. A. |
Pferde | 2,7 Mill. | k. A. | 3,6 Mill. | k. A. |
Schweine | 3,8 Mill. | 40 kg | 7,1 Mill. | 75 kg |
Die Milchleistung der Kühe stieg von 600-700 kg (um 1800) auf 1.150 kg (1870/75).
Quelle: F. W. Henning „Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland“, Band 2, 1750 bis 1976, Paderborn 1978.
Der größte Teil der Tiere stand in bäuerlichen Betrieben und in den Gutsbetrieben. Aber allgemein war die Tierhaltung in den Dörfern und auch in den Städten selbstverständlich. Als Beispiel seien die „Stockwerkskühe“ in Berlin genannt, mit denen innerhalb der Stadt die Versorgung mit Milch ermöglicht wurde. Nur wer gar keine Tiere halten konnte, der war wirklich arm.
So einhellig wie es wissenschaftliche Auffassung ist, dass die Klimaerwärmung Mitte des 19. Jahrhunderts begann, so einhellig ist auch die Annahme, dass dieser Vorgang aufs engste mit dem Prozess der Industrialisierung verknüpft ist. Es sind die Nutzung der fossilen Energiequellen (Steinkohle, Braunkohle, Öl, Gas) und die starke Zunahme bei der Verwendung von Mineralien (z. B. verschiedene Erze, und auch andere bergbaulich gewonnene Stoffe) die die historischen Quellen der Klimaveränderungen sind. Viele einflussreiche zeitgenössische Ökonomen – von Albrecht Daniel Thaer bis zu Karl Marx – gingen nun davon aus, dass wie selbstverständlich nicht nur das Gewerbe, sondern auch die Landwirtschaft sich durch die Industrialisierung zu einer kapitalistischen Agrarindustrie entwickeln würde, die mit industriellen Prozessen und in großen Strukturen wirtschaften würde. Das war aber mitnichten der Fall. Stattdessen entwickelte sich eine Struktur, die ein gescheiter Agrarsoziologe[2] ein Jahrhundert später als „die jahrzehntelange Symbiose von kapitalistischer Industrie und bäuerlich-handwerklicher Gesellschaft“ bezeichnete.
Weshalb diese Einschätzung, als gescheit bewertet werden kann, sei an einigen wenigen Beispielen erläutert.
- Ein zentrales Merkmal industrieller Produktionsprozesse ist die Dominanz mechanischer Arbeitsprozesse und die Nutzung fossiler Energie als Treibstoffquelle.
Zwar gab es in der Landwirtschaft Ende des 19. Jahrhunderts einige Versuche mit von Dampfmaschinen getriebenen „Lokomobilen“ (für tiefes Pflügen; für den Antrieb von Dreschmaschinen), sie errangen aber nur punktuelle Bedeutung. Auch 1950 dominierten bei den Zugkräften noch eindeutig die Zugtiere. An der Gesamtheit der Zugkräfte hatten die Schlepper 1950 gerade mal einen Anteil von 22 Prozent.[3] - Im 1. „Grünen Plan“ der Bundesregierung (1956) beschrieb Landwirtschaftsminister Lübke die Schranken für den Einsatz von Elektromotoren folgendermaßen[4]: „ohne Einsatz von Elektromotoren (ist) eine Rationalisierung und Mechanisierung der Hofwirtschaft unmöglich. Wir haben in Süddeutschland Bezirke, wo, wenn eine Dreschmaschine im Dorf läuft und ein weiterer Elektromotor angestellt wird, sofort die Funken aus dem Apparat schlagen. In manchen Dörfern werden diejenigen, die weitere Elektromotoren anstellen, wenn bereits welche laufen, bestraft“.
- Nach einer repräsentativen Untersuchung in den Jahren 1952 und 1953 wurden in (West-) Deutschland folgende Mengen an mineralischen Düngemitteln in der Landwirtschaft eingesetzt[5]:
Stickstoff 29,5 kg/ha
Phosphor 27,7 kg/ha
Kali 54,3 kg/ha
(geradezu „winzig“ im Vergleich zu späteren Jahren)
- Weil die Produktionsmethoden sich in der „bäuerlich-handwerklichen Landwirtschaft“ nur wenig und nur langsam veränderten, blieben auch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft (im Wesentlichen) konstant. 1950 arbeiteten noch knapp 25 % aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft!!
Wenn die Industrialisierung die Quelle der Klimaveränderungen ist, dann ist die Landwirtschaft bis zu Beginn der 50iger Jahre des 20. Jahrhunderts daran nicht beteiligt. Bis zu diesem Zeitraum korrespondierten die bodengebundene Tierhaltung, die Futtergewinnung, die Düngung und der Gasaustausch mit der Atmosphäre ohne einen relevanten Zuwachs an Methan. Die Ertragszuwächse, die es erfreulicherweise gab, waren das Ergebnis optimierter biologischer Prozesse und nicht der Zukauf fossiler Energie. Die mit der damaligen Tierhaltung verbundenen Mengen an Methan kann man deshalb als „Grundlinie“, als „Null-Punkt“ mit Blick auf die Frage nach dem Anteil der Landwirtschaft an der Klimaveränderung ansehen. Es ist davon auszugehen, dass diese Mengen immer entstehen werden, so lange Ackerland, Grünland und Nutztiere die Grundlage der menschlichen Ernährung sein werden. Da gibt es also nichts einzusparen.
[1] Die Arbeit von Anita Idel „Die Kuh ist kein Klima-Killer! Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können“ (Marburg 2010, 186 Seiten) betont die weltgeschichtliche Bedeutung der Verbindung von Grünland und ihrer Nutzung durch die Rinder.
[2] Burkart Lutz „Die Bauern und die Industrialisierung. Ein Beitrag zur Erklärung von Diskontinuitäten der Entwicklung industriell-kapitalistischer Gesellschaften“, in „Soziale Welt“, Sonderband 4, Hrsg. J. Berger, Göttingen 1986, S. 125
[3] W. Abel „Die Technisierung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft als Ordnungsproblem“, in „Maschinen und Kleinbauerntum“, Hannover 1951, S. 6. Ein Pferd zählte als „1 Zugkraft“, ein Schlepper als 6, eine Arbeitskuh als 1/2.
[4] „Der Grüne Plan“, Hrsg. BELF, Bonn 1956, S. 236
[5] A. Nieschulz, K. Padberg „Betriebswirtschaftliche Untersuchungen über den Handelsdüngeraufwand im Bundesgebiet“, Hrsg. Ruhr-Stickstoff AG, Bochum 1954, S. 15