Wir sind gewohnt, dass im Mai der Graswuchs galoppiert und das Gras oft schneller alt wird, als es geweidet oder geerntet werden kann. In diesem Jahr ist alles anders. Weiden sind im nu leer gefressen. Wo schon siliert wurde, sind die Silos nur halbvoll. Das Bodengras fehlt noch, sagte man früher zu solchen Situationen. Sogar die Allerweltskräuter wie Löwenzahn, Wiesenkerbel und Hahnenfuß kümmern in diesem Jahr. Im sonst intensiven Grünland fallen Magerkeitszeiger wie Ehrenpreis, Spitzwegerich, Ruchgras und Weiche Trespe auf. Gräser treiben Blüten bevor sie sich bestocken. Das extensive oder Naturschutzgrünland ist gerade mal grün. Warum ist das so?
Klimaerwärmung oder Wetterextrem? Viele suchen die Ursache in den vorangegangenen Trockenjahren. Hat die wüchsige Witterung im letzten Frühling aber nicht die Regenerationskraft des Grünlandes bewiesen? Diese wüchsige Witterung fehlte in diesem Frühling total. Zwar gab es im Winter Niederschläge, die Kahlfröste im März und der April ohne Regen sowie der häufige Ostwind trocknete die Grasnarben aus. Auch dem mäßigen Regen Anfang Mai folgte mit extremen Eisheiligen nochmal ein Rückschlag. Die Frage unserer Vorfahren nach dem Bodengras ist ein Hinweis, dass es solche Witterung immer mal gab. In der Zunahme der Häufigkeit solcher Wetterextreme zeigt sich der Klimawandel. Weshalb der spärliche Graswuchs in diesem Frühling zur langfristigen Herausforderung werden könnte.
Das optimale Grünlandklima herrschte nur an der Nordseeküste und am nördlichen Alpenrand. Ihre Kennzeichen sind wenig schwankende mäßige Temperaturen, regelmäßige Niederschläge und lehmige Böden mit hoher Wasserhaltekraft, die schwer ackerfähig sind. Die meisten anderen heutigen Grünlandgebiete, wie der Schwarzwald, sind aus ökonomischen Grenzstandorten entstanden, wo sich Ackerbau nicht mehr lohnte. Weil die Böden zu flachgründig, steinig und sandig sind, das Klima aber nicht regelmäßige Niederschläge bietet und seine Temperatur stark schwankt. Nicht umsonst wurden diese Regionen als benachteiligte Gebiete ausgewiesen. Mit dem Klimawandel werden diese Regionen zu klimatischen Grenzstandorten. Das optimale Grünlandklima mit über 1000 mm regelmäßigen Niederschlägen, mäßigen Temperaturen in Verbindung mit wasserhaltigen Böden erfüllen diese Standorte immer weniger. Aber wie anpassen?
Kurzfristig Grünland weniger stressen? Denn Gräser sind die Ertrags-bildner des Grünlandes und die lagern im Gegensatz zu tiefwurzelnden Kräutern ihre Reservestoffe in der Stoppel ein. Und zwar wie alle Pflanzen erst mit dem Rispenschieben bis Blüte. Weniger stressen heißt also, nicht zu früh und zu häufig nutzen. Höherer Schnitt reicht allein nicht. Weniger häufige Nutzung heißt auch weniger Überfahrten und damit Schonung des Bodens für Wasserspeicherung und Wurzelbildung. Der Trend zu höchsten Energiegehalten für hohe Milchleistungen sollte von der Schonung des Grünlandes abgelöst werden, damit widerstandsfähige Arten den Wetterkapriolen besser standhalten können. Auf Weiden ist es anders, weil der Biss der Tiere im Gegensatz zum Mähwerk das Wachstum anregt.
Langfristig Grünland überdenken. Aber dafür gibt es keine Rezepte. Ohne die Vergangenheit wiederholen zu wollen, sollten wir uns bewusst machen, dass Dauergrünland erst in den letzten 50 Jahren die klassische Feldgraswirtschaft in vielen Gebieten Europas abgelöst hat. Und zwar zusammen mit der Aufgabe der regionalen Versorgungswirtschaft. Im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung und der Energiefrage wird diese Spezialisierung zum Paradox zur sinnvollen regionalen Versorgung. Außerdem gerät die rationale großflächige Grünlandbewirtschaftung in den Widerspruch zu den Herausforderungen der Klimaerwärmung. Gefragt wären Verbesserungen des Kleinklimas, wie z.B. durch Agroforstsysteme. Ein Wandel der Grünlandkultur steht an.