Mit Schlagworten wie Wohlstand durch Wachstum, Freihandelszonen und Bürokratieabbau versuchen Politik und Medien in der ver-rückten Zeit Hoffnung zu verbreiten. Bei unserem Aschermittwochsgespräch am 5. März 2025 haben wir mit dem Schweizer Prof. Dr. Mathias Binswanger aufzuklären versucht, was Wirtschafts-wachstum heißt und es für die (Schwarzwald-) Bauern bedeutet. Prof. Binswanger forscht über Wachstumszwang und Glück und hat darüber Bücher geschrieben. Er hebt sich von klassischen Ökonomen ab, mit der These, dass Agrarfreihandel nicht mehr Wohlstand bringt.
Die Landwirtschaft passt nicht in das kapitalistische Wirtschaftssystem,
war der zweite Satz seines Vortrages. Die industrielle Revolution vor 250 Jahren habe unser Wirtschaften (Haushalten) fundamental geändert. Der begrenzende Wirtschaftsfaktor Boden zuvor wurde vom Kapital in Form von Maschinen und fossiler Energie abgelöst, das über Kredite geschöpft wird. Deshalb unterscheidet sich wirtschaftliches Wachstum grundsätzlich vom natürlichen Wachstum von Pflanzen, Tieren und Menschen. Denn in der Natur endet das Wachstum mit Reife und Alterung, die kapitalistische Wirtschaft funktioniert jedoch nur, wenn sie andauernd wächst. Bis vor Kurzem hat dieses Wachstum noch Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigt und den Wohlstand gesteigert. Ab einem gewissen Reichtum macht Wachstum die Menschen nicht mehr glücklicher und zufriedener. Zugleich kommt es zu Kollateralschäden wie beim Klima. Damit die Wirtschaft jedoch funktioniert, muss sie auch in einer gesättigten Gesellschaft mit neuen Produkten neue Nachfrage erzeugen.
Die Funktion des kapitalistischen Wirtschaftssystems
hängt von folgenden Elementen ab: 1. Müssen in der Geldwirtschaft Wirtschaftsunternehmen Gewinn machen, um ihre Kosten zu decken, sonst gehen sie pleite und es gibt Arbeitslosigkeit. 2. Am Markt gesteht zwischen den Unternehmen Wettbewerb um das bessere (und billigere) Produkt. 3. Der technische Fortschritt mit Innovationen bringt neue Verfahren und Produkte, die neues Wachstum generieren. Dieses kapitalistische Wachstumssystem kennt also nur Wachstum oder Schrumpfung als Krise. Damit die Nachfrage nicht an nationalen Grenzen gehemmt wird, setzt diese Ökonomie auf globalen Freihandel.
Landwirtschaft in der kapitalistischen Wirtschaft
Nach den Regeln von Wirtschaftswachstum und Freihandel müsste Landwirtschaft in der Schweiz wie im Schwarzwald aufgeben werden. Denn aufgrund hoher Kosten sind ihre Produkte mit aus Gunstlagen nicht konkurrenzfähig. Zudem macht die Wertschöpfung in der Landwirtschaft im Vergleich mit Pharmaindustrie und Bankenwesen nur ein Zehntel aus. Weshalb die Landwirtschaft seit Jahrzehnten mit Wachsen oder weichen reagiert. Wegen den hohen Opportunitätskosten (entgangener Nutzen billigerer Produkte) wird Landwirtschaft mit Subventionen und Grenzschutz aufrecht erhalten. Ohne Grenzschutz (wie in der EU seit 1992 und bilateralen Abkommen wie Mercusor) müssen diese Subventionen massiv verstärkt werden, wenn eine produzierende Landwirtschaft im Land erhalten werden soll. Diese Tretmühle wirkt speziell in den Berggebieten.
Das Spannungsfeld Gesellschaft – Landwirtschaft
ist die Folge paradoxer Forderungen der an das kapitalistische Wirtschaftssystem gewohnten Gesellschaft. Sie fordert von der Landwirtschaft die preisgünstige Produktion hochwertiger Lebensmittel, die die Umwelt nicht belastet, dem Tierwohl Sorge trägt und die gewohnte Kulturlandschaft pflegt, ohne Lärm und Geruch und Land für Bauzwecke abgibt. Weil das Argumente nicht direkt ökonomischer Art sind, werden die Direktzahlungen an die Landwirtschaft aber daran ausgerichtet. In der Schweiz steht zwar die Versorgungssicherheit (Ernährungssicherheit) in der Verfassung. Das Dilemma ist, das eine hochproduktive Landwirtschaft und ökologische Leistungen sich widersprechen. Zudem nimmt mit der Abgeltung der verschiedener Leistungen wie Kultur-landschaft, Biodiversität, Ökologie und Tierwohl die Bürokratie trotz Digitalisierung zu und die nötige Antragsberatung schafft neues Wirtschaftswachstum.
Die Marktstruktur erschwert die Situation
Der Wachstumszwang im kapitalistischen Wirtschaftssystem führt zur Konzentration bei Verarbeitung und Handel von Lebensmitteln. Damit hat sich die Marktmacht auf die Nachfrageseite verschoben. Diese Marktmächte verlangen von den Bauern einheitliche Rohstoffe um sie selbst zu einem vielfältigen Angebot zu machen. Weil die Nachfrage nach Lebensmitteln unelastisch ist, entsteht aber die paradoxe Entwicklung, dass durch den technischen Fortschritt immer weniger Landwirte immer mehr produzieren. Wodurch der Anteil der Landwirtschaft an den Konsumentenausgaben sinkt. Diese Entwicklung hat inzwischen auch Label- und Markenprodukte wie Bio erfasst. Wodurch der Detailhandel (sowie Anbieter von Vorleistungen) zunehmend von Direktzahlungen an die Landwirtschaft profitieren.
Wie kann der Bauer selbst wieder stärker an der Wertschöpfung partizipieren?
Für diese existenzielle Frage hat auch Prof. Binswanger kein Patenrezept. Mehr Marktmacht setzt unabhängige Zusammenschlüsse von Erzeugern mit regionaler Identität voraus (wie die bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall). Mehr Differenzierung wäre im Idealfall qualitatives Wachstum, was aber die Marktmächte selber praktizieren. Bedeutung dafür sieht Binswanger in der alpinen Graslandwirtschaft mit Wiederkäuern, die Kohlenstoff in den Böden speichert. Mehr Direktverkauf braucht Kaufkraft in der Nähe, steht im wachsenden Wettbewerb und führt oft zur Selbstausbeutung von Bauernfamilien.
Faire Märkte Schweiz
Statt auf Nischen setzt Prof. Binswanger auf die Organisation faire Märkte Schweiz. Diese FMS will fairere und gerechtere Märkte schaffen, in denen ein förderlicher Wettbewerb im Interesse aller Akteure, insbesondere auch der schwächeren Vertragspartei, sichergestellt und letztlich die Transformation hin zu nachhaltigeren Märkten ermöglicht wird.
Bis zum Fairen Markt die Tretmühle des Wachstumszwangs bremsen
Wie wir das selbst können, hat Prof. Binswanger leicht verständlich beschrieben im Buch DIE TRETMÜHLEN DES GLÜCKS