Aschermittwoch heißt für uns kapieren statt kopieren

Traditionell haben wir uns am Aschermittwoch zum Gespräch mit einem Vordenker der Zeit getroffen. Zu diesem traditionellen Termin ist es gekommen, weil die Stuttgarter Ministerin für Ländlichen Raum uns – den Teilnehmern der Bauern und Unternehmerschulung (BUS) – am Aschermittwoch 1998 ein Gespräch angeboten hatte. Der Gründer von BUS, der Volkswirt Gerd Lohmüller hatte erkannt, dass die bäuerliche Landwirtschaft im globalen Preis- und  Qualitätswettbewerb nicht mithalten kann und wollte mit BUS bäuerliche Werte und unternehmerisches Denken als Alternative verbinden. Einer seiner Kernsätze war kapieren statt kopieren. Zu dem Gespräch konnte die Ministerin dann doch nicht kommen, weil sie kurz zuvor den Startknopf für den ersten Melkroboter in Baden-Württemberg gedrückt hatte und sich an diesem Tag dafür bei der Partei rechtfertigen musste. Sie schickte den Bildungsreferenten und immerhin ist der BUS-Teil Persönlichkeits-entwicklung ins Programm der Fachschulen aufgenommen worden.   

Dieselben Probleme sind am Land in Österreich erkannt worden von Professor Millendorfer, einem Bürgermeister und einem Landwirtschaftslehrer in Schlierbach in Oberösterreich, woraus die Zukunftsakademie SPES entstanden ist. Deren Leiter Fritz Ammer hat der zunehmenden Fremdversorgung in den Dörfern die Alternative Lebensqualität durch Nahversorgung gegenübergestellt. Über die österreichischen Pioniere der eigenständigen Regionalentwicklung wie Hans Haid und Franz Rohrmoser sowie dortigen BUS-Gruppen war ich Mitte der 1990er Jahre diesem Konzept begegnet. Hierzulande hatten dann die Raiffeisenbanken in Bayern, wir bei der Konzeption des Naturparks Südschwarzwald und die katholische Kirche mit LEADER-Projekten Fritz  Ammers Konzept als Bewusstseinskampagne zu verbreiten versucht. Doch der wachsende neoliberale Zeitgeist kopierte Nahversorgung als Marketing für ein neues regionales Geschäft ohne seien Sinn zu kapieren.

Vom Sinn bin auch 2011erst richtig überzeugt worden bei einer Exkursion der Katholischen Landvolkbewegung nach Schlierbach. Dort erlebten wir an mehreren Beispielen, Lebensqualität hat 3 Dimensionen: eine Sach-, Beziehungs- und Sinnebene. Fritz Ammer und seine Mitstreiter erklärten uns in überzeugenden Vorträgen, dass nur ihre Ausgewogenheit zu Zufriedenheit und Stabilität führt. Deshalb habe ich Fritz Ammer spontan zum Aschermittwochsgespräch 2012 eingeladen.  

Die Folgen unserer globalen Fernversorgung und des kurzsichtigen Wettbewerbsdenken erleben wir inzwischen immer deutlicher. So konnte sich der Coronavirus mit den globalen Versorgungs- und Freizeitketten in wenigen Wochen weltweit verbreiten. Und der Krieg in der Ukraine zeigt sich bei genauerer Betrachtung als Wirtschaftskrieg, weil die eigenständige Ukraine mit ihren riesigen Schwarzerdeböden ein gewichtiger Konkurrent am Weltmarkt für Sonnenblumenöl, Getreide, Kohle und Stahl geworden ist. Vor dem Zerfall der Sowjetunion war die Ukraine ihre Kornkammer und die Separatistengebiete im Osten ihr Ruhrgebiet. Weshalb ihr letzter Präsident Gorbatschow nach dem Zerfall vor neuen Konflikten durch nationales Konkurrenzdenken gewarnt und ein Neues Denken der Globalisierung angemahnt hat.    

Im vorigen Beitrag haben wir an die Aussagen von Hans Haid am Aschermittwoch vor zwanzig Jahren erinnert. Haid hatte erklärt, dass EU-Politik für ländliche Entwicklungspolitik eigentlich richtig wäre, wenn sie von Landwirtschafts- und Tourismusorganisationen nicht einseitig für ihre Interessen benutzt würde. Weshalb er wohl seinen letzten, unvollendeten Roman „es kann sein, dass die Schatten wieder kommen“ genannt hat. Er liest sich, als ob er die Schatten von Corona und dem Ukrainekrieg geahnt hätte.

Fritz Ammer hat 2012 versucht, uns den Sinn der ländlichen Entwicklung bewusst zu machen. Dass sie nicht nur ein Projekt oder eine Geschäftsidee ist,  sondern ein Prozess des Kulturwandels. Er sagte, „Entwicklungen einer Zukunft die wir fürchten, können wir nur wirkungsvoll begegnen durch Bilder einer Zukunft die wir wollen!“ Bei den Mitgründern der SPES-Zukunftsakademie hat Ammers Nachfolger folgende Eigenschaften für diesen Prozess des Kulturwandels ausgemacht:

  • Diskussionspartner/innen – nicht bloß Zustimmer/innen
  • Risikofreudige Mitstreiter/innen – nicht bloß Sicherheitstypen
  • Bestärker/innen in kritischen Phasen – nicht bloß Bemitleider/innen
  • Resolute Minderheiten – nicht bloß träge Masse. 

Auch unsere Aschermittwochsgespräche hatten immer das Ziel, den Prozess einer Entwicklung anzustoßen, in dem auch Schwarzwaldbauern überleben können. Doch solchen Denkanstößen steht der kurzsichtige und gierige Zeitgeist entgegen. Ob die Coronapandemie und der Ukrainekrieg diesen Zeitgeist ändern werden, ist offen und lässt aber hoffen. Dass wir damit nicht allein sind, auch wenn wir uns heuer wieder nicht treffen können, zeigen zwei aktuelle Links, die die Situation kapiert haben und Hoffnung spenden:  

Transformationen – Der Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft von Maja Göpel: https://www.youtube.com/watch?v=mdqzHX4y97U

Wie geht Veränderung? Ein Gespräch unserer deutschen Vordenker*innen  Diana Kinnert, Harald Welzer, Maja Göpel & Richard David Precht:  https://www.youtube.com/watch?v=uRzh350t698

Aschermittwoch heißt für uns kapieren statt kopieren
Nach oben scrollen