Der Begriff bäuerlich würde inflationär benutzt und diene immer häufiger als Vorspann-Mechanismus, betonte Gertraud Gafus bei unserem Schwarzwaldbauerntreff am 4. Februar 2017 auf dem Reinertonishof in Schönwald. Aus ihren Erfahrungen als ehemalige Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft forderte sie auf, den Begriff bäuerlich selbst aktiv zu nutzen, um die Definition nicht Anderen auszuliefern. Darauf hatte schon Josef Hoppichler beim letzten Aschermitt-wochsgesprächhingewiesen. Bäuerlich sei überwiegend ein Fremdbild, weil Bauern nie gerne geschrieben haben. Wohl auch ein Grund dafür, weshalb bäuerlich in der Geschichte immer wieder ideologisch genutzt worden ist. Für uns Schwarzwaldbauern die Herausforderung, den Begriff zu hinterfragen und anschaulich zu erklären.
Nach Gertraud Gafus ist bäuerlich eine Frage der Wertschätzung und der Gefühle. Seine Wurzeln liegen in der Tradition und in der Gegenwart brauche bäuerlich Kritikfähigkeit. Sonst verfange man sich in der Rechtfertigung und Verteidigung, wie sie mit Beispielen aus Versammlungen deutlich machte. Bäuerlich sei eine Denkweise, nach der Höfe für kommende Generationen erhalten und im Kreislauf von Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen bewirtschaftet werden, weshalb bäuerlich ökologisch sei. Im Bäuerlichen Leben ist Arbeit und Freizeit nicht strikt getrennt, man arbeitet nicht für die Freizeit. Die agrarpolitischen Thesen von Wettbewerbsfähigkeit und Qualitäts-standards haben das bäuerliche Leben untergraben auf Kosten von Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden auf den Dörfern.
Wertschätzung beginnt mit den Werten, die uns etwas wert sind. Diese Werte ändern sich mit der Zeit. So hatten die Schwarzwaldbauern der Urhöfe nach dem weitgehenden Abholzen der Wälder nur die Wahl zwischen Auswandern oder Diversifizierung mit handwerklichem Zuerwerb. Weshalb die Zahl der Hofstellen im 19. Jahrhundert zunahm. Mit der Industrialisierung wandelten sich die Triebkräfte. Arbeitskräfte wurden zum knappsten Faktor auf den Höfen. Mit ihrem Ersatz durch Maschinen, Rationalisierung und Spezialisierung begann ein Strukturwandel, bei dem es nur eine Frage der Zeit ist, wann der letzte Schwarzwaldbauer weichen wird. Im 21. Jahrhundert mehren sich Zeichen eines erneuten Paradigmenwechsel vom knappen Faktor Arbeit zu den knappen Faktoren Ressourcen und Unabhängigkeit.
Sowohl Gertraud Gafus mit ihrer Fürmannalm wie der Jungbauer Sebastian Duffner vom Reinertonishof sind geistige Vorboten für eine neue Bäuerlichkeit. Für einen Übergang von der als romantisch geltenden Lebensweise am Rand des produktionsorientierten Industriesystem zu einem unabhängigeren Leben im Kreislauf mit der Region. Denn nicht nur die Landwirtschaft muss ökologischer werden, sondern die ganze Gesell-schaft. Weshalb die politische Debatte bäuerliche oder industrielle Landwirtschaft zu kurz greift. Im Sinne unseres Mottos Kulturwandel statt Strukturwandel könnte bäuerlich die postmoderne Lebensform sein. Diese zukünftige Rolle des bäuerlichen wollen wir beim Aschermittwochsgespräch mit dem Postwachstumsprofessor Niko Paech weiterdenken.