Nach dem Green Deal der EU soll ein Drittel des Landes renaturiert, also Wildnis werden. Solche Pläne erinnern an die Römer vor 2000 Jahren, die die wilden Berge gemieden haben. Deshalb den dunklen Wald zwischen Rheintal und Gäuböden Schwarzwald genannt und ich nur durch das breite Kinzigtal zur Verbindung ihrer Gründungen Straßburg und Rottweil durchquerten. Ihre Taktik war mit Brot und Spielen das Volk ruhig zu halten. Für Brot wurde neue Kolonien erobert, die Spielplätze waren die Gladiatorentheater. Heute wird Brot importiert und die Berge werden Freizeitparks mit Wildnis.
1000 Jahre nach den Römern besiedelten Klöster auch die Berge, wegen ihrer Ressourcen Holz, Erzen und Land. Weil man Brot (noch) nicht in die Berge importieren konnte, musste man zur Versorgung Landwirtschaft treiben. Weil im rauen Bergklima die Ernten von Korn, Gemüse und Obst karg sind, spielten Nutztiere eine zentrale Rolle für die Versorgung. Denn die grasten in den Wäldern und auf dem abgeholzten wilden Feld und boten dafür Milch und Fleisch. So entwickelten sich in den Bergen angepasste eigenständige Kulturen [Bätzing].
Die heutigen Vorstellungen von Wildnis stimmen aber kaum den wilden Wäldern der Römerzeit überein. Denn in den Wäldern lebten nicht nur Luchs und Wölfe, sondern auch Wildrinder und -pferde, die den Graswuchs auf offenen Plätzen durch Abweiden förderten [Idel] und einen geschlossenen Wald, wie wir ihn kennen, verhinderten. Wölfe und Co trieben diese Weidetiere weiter [Ott], so dass die wilden Wälder halboffene parkähnliche Landschaften waren. So ist es zu erklären, warum die mittelalterlichen Klöster den Siedlern akkurate Waldhufen zuteilen konnten mit ihren geraden Grenzen quer durch die Täler, die vielerorts bis heute bestehen.
Dass unsere Wälder im 18. Jahrhundert beinahe abgeholzt waren ist auch kaum bewusst. Köhler, Glasbläser sowie die Flößerei nach Holland hatten einen endlosen Holzbedarf. Weshalb der sächsische Berghauptmann Carlowitz aus Sorge um das Grubenholz aufgefordert hat, nicht mehr Holz zu schlagen als nachwächst. Mit diesem gilt Carlowitz heute als Gründer der Nachhaltigkeit. Doch die Regeneration der Wälder zu ihrem heutigen Zustand ist mehr eine Folge des Ersatzes des Holzes durch Kohle. Und die politische Reaktion mit Waldgesetze hat nicht nur Wald und Weide getrennt und das systematische Anpflanzen von Wäldern gefördert und damit die Wälder geschaffen, die wir heute als instabil erleben.
Erst 200 Jahre nach Carlowitz entstand eine Grünlandbewegung. Die Seeblokade im ersten Weltkrieg war die Herausforderung sich auf die eigene Ernährungssicherung zu besinnen und hat das Grünland als Basis für die Milch- und Fleischerzeugung erkannt. Dazu standen Melioration und Neuansaat im Vordergrund, während ein Meinungsstreit zwischen Dauergrünland und Wechselgrünland nach dem englischen Leyfarming herrschte. Parallel entwickelte sich die Rinderzucht, die über Körgesetze einen vermeintlichen Wirtschaftstyp fördern wollte, sich aber auf das Geschäft mit Jungbullen konzentrierte [Haiger].
Mit dem Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg verlor das Grünland wieder an Wert. Das Institut für Höhenlandwirtschaft in Donaueschingen wollte noch Umwelt, Futter und Leistung in Einklang zu bringen. Doch der erste Agrarkommissar der EWG Sicco Mansholt erklärte 1988 beim Besuch im Schwarzwald: “hier wird es 2000 keine Landwirtschaft mehr geben, weil sie im gemeinsamen Markt nicht wettbewerbsfähig ist“. Damit begann ein Wettrennen von Maßnahmen um Leistungs-steigerung um wettbewerbsfähig zu sein einerseits und Offenhaltung der Landschaft als Erholungsraum andererseits. Das zuvor genannte System von Umwelt, Futter und Leistung wurde auf den Kopf gestellt, weil Leistung das Futter bestimmte und die Umwelt ignorierte.
Supermärkte lösten die regionale Versorgung ab. In der Landwirtschaft begann das Strukturwandel genannte wachsen und weichen, was inzwischen alle regionalen Strukturen erfasst hat. Die Fleisch- und Milchproduktion konzentrierte sich auf Mais- und Sojafütterung vom Acker. Während dadurch die Landschaft monotoner wurde, werben die Marktmächte mit Bildern von blühenden Wiesen, idyllischen Bauernhöfen mit weidenden Tieren. Weil diese Bilder in der Wirklichkeit immer weniger zu sehen sind, kritisiert die entfremdete Gesellschaft die Landwirtschaft. Und die Politik suggeriert sie mit Umbruchverbot von Grünland, Extensivierung und neuen Schutzkategorien erhalten können, was Bauern immer tiefer in eine Sinnkrise [Ammer] treibt.
Dabei wäre Milch- und Fleischerzeugung auf der Weide eine der effektivsten, regenerativen, nachhaltigen und klimafreundlichsten Formen der Nahrungserzeugung. Doch der Markt bevorzugt das billigste Produkt, das mit den ökonomischen Skaleneffekte in der bodenunabhängigen an der Fläche bemessene Massenproduktion bodenunabhängig produziert wird. Obwohl die Berglandwirtschaft überwiegend auf ökologischen Landbau umgestellt hat, bleibt sie in diesem Wettbewerb unterlegen. Denn die an der Fläche bemessene Förderung der Landwirtschaft fördert diesen Wettbewerb der mit umwelt- und tierschützerischen Auflagen (wie Laufställe oder bodennahe Gülleausbringung) längst zur strukturellen Gewalt wird. Dennoch sollten wir nicht auf Markt und Politik warten, sondern als Alternative zu den vermeintlich ökologischen Vorstellungen von Wildnis das Naturwunder von Gras und Grasern [Idel, Leiber] als wirklich nachhaltige Modell weitererzählen um den kulturellen Zusammenhang von Standort, Futter und Leistung wieder zu entdecken.
Zur Vertiefung der Rolle des Grünlandes treffen wir uns am Int. Tag der Berge im Landgashof Schwanen auf dem Fohrenbühl in Hornberg-Reichenbach. Der Gründer des Deutschen Grünlandverbandes Dr. Hans Hochberg aus Thüringen spricht über „Die Bergbauernfrage ist de Grünlandfrage“