„Ernten ist mehr als Produktion zum Verkauf. Dieses Denkmodell verkaufe die Landschaft, statt Boden, Pflanze, Tiere für Menschen aufzubauen“ hat uns beim letzten Erntedankgespräch Martin Ott aus Rheinau in der Schweiz erklärt. Da die Coronakrise die weitere Diskussion Ott‘s Thesen erschwert hat, haben wir am 3. Oktober in der Landschaft getroffen, um über die Wirklichkeit der Ernte nachzudenken und über ihren Einfluss auf Landschaft, Boden, Pflanzen und Tiere. Bei einer Wanderung um die Vogeleck in Schonach hatten wir einen Blick auf die Weite der Schwarzwald-landschaft, wie sie die meisten als schöne Natur sehen. Bei genauerem Hinsehen kommen die Höfe in den Blick, die wie Mosaiksteine die Schwarzwaldlandschaft ausmachen und sich im Wandel befinden. Diese beiden Blickwinkel offenbaren ein Paradox der Vorstellungen von Landschaft. Denn die Landschaft ist durch schaffen am Land entstanden, um durch Ernten überleben zu können. Um also die heutigen Bilder der Landschaft n zu verstehen, muss man über den Wandel der Ernte nachdenken.
Die Geschichte der Kulturlandschaft kennen
Die Landschaft ist das Spiegelbild der Kultur, in deren Zentrum bis ins letzte Jahrhundert die Ernte stand. Die mittelalterlichen Siedler im Schwarzwald haben ad gerodet, um den Boden zu bebauen um mit der Ernte überleben zu können. Erst mit den Anfängen der Industrialisierung stieg der Holzbedarf, so dass vor 200 Jahren der Schwarzwald beinahe abgeholzt gewesen ist. Aus Sorge um den Wald (und die Jagd) erließen die Landesherren Waldgesetze, die bis heute Wals und Weide trennen. Die entdeckte Kohle hat schließlich den Wald geschont, so dass er zunehmen konnte. Die nun beschränkte Fläche der Landwirtschaft musste zur lokalen Versorgung intensiviert werden, was mit Hilfe der eingeführten Kartoffel und des Kleeanbaues im Fruchtwechsel gelang. Die Arbeit wurde durch die ersten Mäh- und Dreschmaschinen erleichtert. Die Vielfalt der Ernte und die Bodenfruchtbarkeit nahmen zu und auch Zahl der Bauernhöfe. Flurnamen mit …acker sowie Steinriegel in der Landschaft sind Zeugen dieser Ernte zur lokalen Versorgung.
Supermärkte versus Ernte
Die eigene Ernte verlor mit dem Wirtschaftswunder nach dem zweiten Weltkrieg ihre Bedeutung an die Supermärkte, wo alles jederzeit zu kaufen war und billiger, wie es im Schwarzwald erzeugt werden kann. So verschwanden im Schwarzwald Getreide, Kartoffeln und auch Gärten. Die Bauern waren gezwungen zu rationalisieren, motorisieren und spezialisieren. Trotzdem schrumpfte die Zahl der erntenden Bauern, wie bei der Wanderung deutlich wurde. Von der Politik wurde der Landwirtschaft im Schwarzwald die Rolle der Offenhaltung der Landschaft zugewiesen. Was der Ernte des Sinn nahm. Zudem steht das Futter vom Grasland im freien Markt in Konkurrenz mit importiertem Futter. Auch die Diskussion um Umweltschutz und Tierwohl blendet die Rolle der Ernte im Kreislauf (noch) aus. Stattdessen wird die Landschaft neu geteilt in intensiv oder extensiv, in landwirtschaftliche und Schutz- und Pflegegebiete. Doch allmählich wird in Expertenkreisen bewusst, dass man weder Arten noch Landschaften ohne Ernten erhalten kann.
Ernten neu denken
Die Coronakrise offenbart immer neue Schwachstellen unseres gewohnten Versorgungssystems. Zusammen mit der Klimaerwärmung gerät auch die regionale Spezialisierung von Anbau und Ernten in Zweifel, denn diese Versorgungskultur ist nicht widerstandsfähig gegen ihre Krisen. Die große Frage ist, ob wir die Probleme mit technischem Fortschrittsglauben zu lösen glauben oder ob wir unser Wirtschaften an die naturgemäße Entwicklung von Pflanzen und Tieren und damit Boden und Landschaften anpassen. Der erste Weg des Ernten zum Verkauf führt mit immer mehr Siegeln, Zertifizierungen und Kontrollen zum Ausverkauf der Kultur des Erntens samt Landschaften. Eine naturgemäße Entwicklung wird von immer mehr Menschen vorgezeichnet, die sich z.B. mit Gärtnern auf die eigene Ernte besinnen, weil sie ihnen Selbstwirksamkeit bietet, die wir bei der Fremdversorgung vermissen. Dazu entlastet die eigene Ernte das Klima durch Einsparung von Transporten, fördert die Vielfalt in der Landschaft und im Boden und gibt auch der Schwarzwaldlandschaft ihren Sinn zurück.