So titelte der Schwarzwälder Bote die Demonstrationen der Landwirte im Oktober in vielen deutschen Städten. Was wirklich den Kragen zum Platzen bringt, blieb aber hinter Schlagworten und den Bildern großer Traktoren verborgen. Denn Existenzgefährdung ist mit riesigen und teuren Traktoren schwer zu vermitteln und Düngeverordnung oder Agrarpaket scheint für die für Klima- und Artenschutz streikende Gesellschaft die Lösung zu sein. Deshalb haben wir beim Schwarzwaldbauerntreff am 19. November 2019 in Rohrbach nach den Ursachen und Perspektiven gefragt. In einer Zeit, in der eine Handvoll Supermarktketten mit immer aggressiverer Werbung die Gesellschaft zu manipulieren versucht und mit ihren Normen die Landwirtschaft bestimmt, die mit den idyllischen Bauernhofbildern ihrer Werbung wenig gemeinsam hat. Aus unser Sicht ist es naiv, Artenschwund und Klimaveränderungen allein auf die Landwirtschaft zu reduzieren. Denn sie ist seit der Industrialisierung, die unseren Wohlstand gebracht hat, der schwindende Teil unserer Volkswirtschaft. Es ist die Schieflage unserer Konsumkultur, die völlig falsche Botschaften aussendet, hat es der Britische Ökonom Tim Jackson 2009 schon genannt. Denn die ist auf Wachstum angewiesen, wachsen tun aber nur noch Dienstleistungen. Handeln, verwalten und kontrollieren kann man aber nur, solange andere etwas erzeugen. Dieses Kernproblem unserer Zeit hat der Grieche Aristoteles schon vor 2300 Jahren erkannt und die Ökonomie zur Kunst des Haushaltens erklärt im Gegensatz zum Krämertum als Kunst zur Geldvermehrung. Woher wohl auch der Spruch stammt, Geld kann man nicht essen. Und die ersten Landwirtschaftslehrer Ökonomen genannt worden sind.
Forderungen an die Politik sind das Gemeinsame aller derzeitigen Demonstrationen. Wer ist in einer Demokratie aber die Politik? Und was kann die Politik in einer Marktwirtschaft tun? Und sind die großen Innovationen der letzten zweihundert Jahre aus der Politik gekommen? Wer über diese Fragen nachdenkt, kommt drauf, dass die Politik weder entwickelt noch gestaltet, sondern nur Leitplanken setzen kann, in Form von Gesetzen, Steuern und Subventionen. Die Parteien streiten zwar, welche Instrumente die Richtigen sind. Doch das neoliberale Wirtschaftssystem gilt seit dem Zerfall des Kommunismus bei allen als alternativlos. Dass sich damit die Macht der Konzerne auf Kosten der Politik verschoben hat, wird verschwiegen, weil im globalen Wettbewerb die Nationalstaaten um Arbeitsplätze und Steuern buhlen. Weshalb sich Gesetze und Verordnungen am den Mächtigen des vermeintlich freien Marktes orientieren, aber von kleinen Bauern, Handwerkern, Händlern und Wirten immer weniger zu erfüllen sind. Forderungen an die Politik wirken aus diesen Gründen oft kontraproduktiv, indem ihre Regelungen oft zerstören, was man eigentlich wollte.
Die Agrarpolitik hat eine Doppelrolle in Politik und Volkswirtschaft. Zwischen rationaler Ernährungssicherung zu angemessenen Preisen für die Verbraucher und Einkommens-sicherung der Landwirte. Damit ist der Strukturwandel programmiert und der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugung sinkt, weil Rationalisierung der Grundsatz dafür ist. Die Landwirtschaft als Kunde für Betriebsmittel und als Rohstofflieferant dafür wichtiger. Dieser Spagat spiegelt sich im System der Agrarförderung, das Rationalisierung und Wachstum über Flächenprämien und Investitionsförderung belohnt und mit Agrarumweltmaßnahmen die Folgen zu mildern versucht. Auf die Spitze hat die Tierwohldebatte diesen Spagat getrieben, indem dafür Stallum- und Neubauten gefördert werden, die aber zu Aufstockung und Rationalisierung zwingen um finanziell tragfähig zu sein. Mit diesen Widersprüchen sind Konflikte mit der Gesellschaft programmiert. Sie verschärfen sich zudem, weil Regelungen und Förder-ungen immer statisch und starr sind, das bäuerliche Arbeitsfeld aber dynamischen Prozessen von Boden, Pflanzen und Tieren unterliegt. Weshalb alle Reformen der Agrarförderung die Probleme eher verschärft haben, weil die Widersprühe im Kern des Systems nicht angetastet werden.
Perspektiven als Aussichten der Landwirtschaft sind unter diesen Widersprüchen aufs ökonomische Überleben reduziert. Mit Digitalisierung hofft die Politik die Konflikte zwischen Landwirtschaft und Umwelt zu lösen und sieht aber weiter die Chancen am Weltmarkt. An dem der Wettbewerb um Preise und Qualitäten immer aggressiver wird und die kulturelle Identität der Bauern durch Standards und Siegel ersetzt. Damit hat sich die Konkurrenz auch unter die Landwirte verlagert, um Flächen, Prämien und Marktanteile. Alte Gemeinschaften zerfallen. Immer mehr Höfe und ganze Land-schaften werden zu Grenzertragsstandorten, die zwar politisch als Alibi geschützt und gepflegt werden, den Sinn bäuerlicher Kultur aber aushebeln. Die Perspektive unter diesen Dogmen heißt Wachsen und Weichen, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern längst in allen ländlichen Strukturen. .
Perspektiven für Schwarzwaldbauern brauchen den Wandel des marktradikalen und nicht nachhaltigen Systems, bevor die Politik den Schwarzwald als Alibi ganz zum Nationalpark erklärt. Nachhaltige Perspektiven werden zwar in der Wissenschaft längst diskutiert, als Ökosoziale Marktwirtschaft, Postwachstumsökonomie oder Gutes Leben für Alle. Die Politik ist jedoch gefangen im alten System aus Angst von der Wohlstandsgesellschaft nicht mehr gewählt zu werden. Gerade deshalb müssen wir uns selbst die Perspektiven einer zukunftsfähigen nachhaltigen Kultur bewusst werden, wie es der amerikanische Farmer und Schriftsteller Wendell Berry* vor 25 Jahren als Kultur der Bodenhaftung beschrieben hat. Ein Beispiel, wie wir es auf unseren Schwarzwaldhöfen üben könnten, zeigt Markus Bogner auf dem Boarhof am Tegernsee vor unter dem Motto „Selbst denken, selbst machen, selbst versorgen“. Unser Mitglied Gerd Göppert war bei einem Seminar dort und berichtete wie die Familie auf 800 m Höhenlage von und mit von einer ungewohnten Vielfalt lebt. Dazu brauchen sie von den 10 Hektar des Hofes nur zwei zum Leben und weder teure Mechanisierung noch Ställe. Medien nennen Markus Bogner sogar Weltbürger. Ein gegen-sätzlich scheinendes, aber doch ähnliches Beispiel ist Martin Ott vom Gut Rheinau, das Reimund Kuner vorstellte. Aus einen defizitären Staats-betrieb hat Martin Ott eine regionalen Land-wirtschaft mit vielen Partnerbetrieben restauriert. Im Mittelpunkt steht die Hofindividualität, in deren Zwischenräumen neue Werte entstehen. Das Ge-meinsame beider Beispiele ist ihre Vielfalt.
Die Perspektive, damit Bauern der Kragen nicht platzt, wäre also aus der fremdbestimmten Rationalität auszubrechen. Aus der Spezialisierung als Rohstoff-erzeuger. die zur Aufgabe der Vielfalt zur eigenen Versorgung geführt hat und Bauern wie Arbeiter nur noch Geld zu verdienen um alles kaufen zu können. Diese Rechnung geht für die Bauern nicht auf, weil die Wertschöpfung in unserem arbeitsteiligen Versorgungssystem sich vom Rohstofferzeuger zum Verarbeiter und Handel verlagert hat. Auf der Verbraucherseite sind auch Ausbruchsversuche zu beobachten, wo mit urban gardening, foodcoops oder Ernährungsräten experimentiert wird. Klimawandel, Artenschwund und Verkehrsstaus stellen unser modernes globales Versorgungssystem schlussendlich in Frage. Für die Landwirtschaft die Chance, sich auf ihre Rolle als sonnengetriebene Primärproduktion zu besinnen und einen Landbau zu üben, der mehr Kalorien hervorbringt, als mit Fremdenergie hineingesteckt wird und damit multifunktional positiv auf Klima und Vielfalt wirkt. Um den Druck von Technik und Markt auf die Menschen in der Landwirtschaft zu mildern. Die Herausforderung sollte sein, unser Kulturerbe Schwarzwaldhöfe zur neuen Perspektive zu machen.